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    Split
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    4,0
    stark
    Split
    Von Andreas Staben

    1949 schlüpfte der spätere Obi-Wan-Kenobi-Darsteller Alec Guinness im britischen Komödien-Klassiker „Adel verpflichtet“ gleich in acht verschiedene Rollen und spielte sämtliche potenzielle Erben eines herzoglichen Titels (und Vermögens) – eine bis heute selten erreichte chamäleonartige Meisterleistung. Nun nimmt es der Schotte James McAvoy („Abbitte“) mit dem Engländer Guinness auf und spielt in M. Night Shyamalans Psychothriller „Split“ ebenfalls mindestens acht unterschiedliche Persönlichkeiten. Er verkörpert allerdings nur eine einzige Person, denn seine Figur leidet unter einer dissoziativen Identitätsstörung (DIS). Das gibt McAvoy Gelegenheit zu einer einzigartigen schauspielerischen Tour de Force: Er zeigt uns manipulative, brutale, verängstigte, eitle, amüsante, kindische, aggressive und schüchterne Seiten. Seine faszinierend-facettenreiche Darstellung ist das Herzstück eines ebenso spannenden wie ungewöhnlichen Films, mit dem Regisseur und Drehbuchautor Shyamalan („The Sixth Sense“) seinen mit „The Visit“ eingeschlagenen neuen Weg zu alter Stärke erfolgreich fortsetzt und sein Publikum zugleich wieder einmal überrascht.

    Nach einer Geburtstagsfeier werden die Teenager Claire (Haley Lu Richardson), Martha (Jessica Sula) und Casey (Anya Taylor-Joy) von einem Unbekannten (James McAvoy) entführt und in einen Keller gesperrt. Bald zeigt sich, dass der Mann krank ist. Eigentlich heißt er Kevin, aber er tritt ihnen immer wieder mit neuen Namen und veränderter Persönlichkeit entgegen: Mal will er, dass sie ihre Röcke und Blusen ausziehen, mal fordert er, dass sie das Badezimmer putzen. Während die Mädchen fieberhaft nach einer Fluchtmöglichkeit suchen, schaut Kevin immer wieder bei seiner Psychiaterin Dr. Fletcher (Betty Buckley) vorbei, der schnell klar wird, dass ihr langjähriger Patient ihr etwas zu verschweigen versucht...

    „Split“ beginnt als verstörend-mysteriöser Entführungsthriller. Mit wenigen Zügen etabliert M. Night Shyamalan eine unbehagliche Situation (die Außenseiterin Casey soll nach heikler Diskussion im Auto mitgenommen werden), bevor er dann ähnlich effektiv das Unheimliche (sie sieht auf dem Boden gelandete Einkäufe im Rückspiegel) und das Beängstigende (ein fremder Mann nimmt auf dem Fahrersitz Platz) hinzufügt. Und bevor wir uns angesichts des fensterlosen Kellers, in den die Mädchen verschleppt werden, in allzu vertrautem Genreterrain wähnen könnten, wird die Persönlichkeitsstörung des Kidnappers manifest und gibt dem Film eine Aura der Unberechenbarkeit, die der Regisseur und Autor bis zum Ende pflegt. Dabei setzt Shyamalan weniger auf seine berühmt-berüchtigten Twist-Paukenschläge (aber auch davon gibt es einen – mehr wird nicht verraten) als auf clever eingefädelte Entwicklungen, bei denen auch wiederholte Rückblenden in Caseys Kindheit eine Rolle spielen. Sie wird im Übrigen als einziges der drei Mädchen mit einer Hintergrundgeschichte versehen, während Claire und Martha insgesamt etwas stiefmütterlich behandelt werden, was auch die Spannung ihrer individuellen Ausbruchsversuche drosselt.

    Zwischen Casey und den diversen Persönlichkeiten von Kevin kommt es zu einigen denkwürdigen Duetts und Duellen, bei denen die „The Witch“-Entdeckung Anya Taylor-Joy auf Augenhöhe mit James McAvoy agiert, der seinen flamboyanten Auftritt in „Drecksau“ hier gleichsam potenziert: ob als neunjähriges, lispelndes Kind, als dominante Strippenzieherin in Stöckelschuhen oder als sensibler Modedesigner – er gibt jeder Identität mit nur sehr wenigen äußeren Hilfsmitteln eine ganz eigene Prägung. Und wenn eine der Persönlichkeiten so tut, als wäre sie jemand anders, hebt er das Ganze mit fast spielerischer Leichtigkeit und sichtbarem Vergnügen noch einmal auf eine andere Ebene. Der anfängliche Verweis auf Alec Guinness (man hätte auch Jerry Lewis in „Der verrückte Professor“, Peter Sellers in „Dr. Seltsam“, Dieter Hallervorden in „Didi und die Rache der Enterbten“ nennen können) mag etwas willkürlich erscheinen, denn schließlich lassen sich Komödien-Äpfel nur schwer mit Thriller-Birnen vergleichen – aber „Split“ ist lustiger als man denkt und es bleibt bei Shyamalans obligatorischem Gastauftritt sogar Platz für einen Witz über den berüchtigten Brüste-und-Burger-Laden Hooters.

    Noch eindrücklicher als die Konfrontationen zwischen Entführer(n) und Opfern in den ausladenden Kellerräumen und – gängen (die individuelle Ausstattung der einzelnen Zimmer spricht ganz nebenbei Bände über die multiplen Kidnapper-Persönlichkeiten) sind einige der Begegnungen Kevins (meist als Modeschöpfer Barry) mit seiner Therapeutin Dr. Fletcher. Betty Buckley („Carrie“), die auch schon bei „The Happening“ dabei war, verleiht den teils etwas ausschweifenden erklärenden Dialogen die Überzeugungskraft echter Menschlichkeit und wenn sie argumentiert, dass die verschiedenen Persönlichkeiten ihrer DIS-Patienten sich auch körperlich ausprägen können (da kann dann die alternative Identität eines eigentlich Blinden sehen oder ein Diabeteskranker braucht kein Insulin mehr), erweist sie sich als überzeugende Anwältin von Shyamalans Erzählstrategie. Der hat sich nämlich wie fast immer einen Dreh ins Übernatürliche ausgedacht und fügt den 23 festgestellten Identitäten von Kevin eine mögliche 24. hinzu, von der die anderen nur als „das Biest“ sprechen.

    Es ist M. Night Shyamalan viel wichtiger, der Wirklichkeit einen Schubser ins Fantastische zu geben als ein medizinisch stichhaltiges Porträt von DIS zu liefern (das findet man eher in der Serie „Taras Welten“ mit Toni Collette). Aus Psychologensicht ist „Split“ nicht glaubwürdiger als „Ich kämpfe um dich“ und „Psycho“ von Alfred Hitchcock oder „Dressed To Kill“ und „Mein Bruder Kain“ (in dem John Lithgow seinerseits einen denkwürdigen Persönlichkeitsgestörten spielt) von Brian De Palma. Das Entscheidende dabei ist aber: Der Ansatz funktioniert. Mit dem gewohnten Sinn fürs Atmosphärische und für die Gegenwart des Unsichtbaren schafft Shyamalan nicht nur einen handfesten Thriller, sondern auch einen sehr andersartigen Film über das Anderssein. Dabei brennt sich trotz einiger schockierender Gewalteinbrüche nichts so sehr ins Gedächtnis ein wie eine einzelne Einstellung von 23 fein säuberlich arrangierten – natürlich ganz unterschiedlichen - Zahnbürsten vor dem Badezimmerspiegel.

    Fazit: „Split“ ist M. Night Shyamalans bester Film seit vielen Jahren – und das ist nicht die einzige Überraschung für seine Fans.

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