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    Mank
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    5,0
    Meisterwerk
    Mank

    6 Jahre nach "Gone Girl": Finchers Netflix-Meisterwerk

    Von Björn Becher

    Mit Klassikern wie „Sieben“, „The Social Network“ oder „Fight Club“ hat sich David Fincher seinen festen Platz in der Filmgeschichte längst gesichert. Aber „Mank“ ist nun noch einmal ein ganz besonderes Werk in seiner an Highlights nicht armen Karriere: Das Drehbuch stammt von dem bereits 2003 verstorbenen Jack Fincher, dem Vater des Regisseurs, der in seinem Sohn überhaupt erst dessen Liebe fürs Kino entfacht hat. Dabei lernte der kleine David Fincher schon früh, dass für seinen Papa ein Film über allen anderen steht: „Citizen Kane“ von Orson Welles!

    Als der Journalist Jack Fincher damals in Rente ging, spielte er mit dem Gedanken, mal selbst ein Drehbuch zu schreiben. Sein Sohn, der sich zu jener Zeit bereits als Regisseur von Werbefilmen einen Namen gemacht hatte, ermunterte ihn, etwas über die Entstehungsgeschichte seines Lieblingsfilms zu schreiben. Nach anfänglich noch nicht so gelungenen Versuchen entwickelte sich über die Jahre ein Skript, das der mittlerweile in Hollywood erfolgreiche Junior sogar verfilmen wollte. Ende der Neunziger stand David Fincher ein paar Mal ganz kurz davor – aber dann bekamen die Financiers doch jedes Mal wieder kalte Füße, weil der „Gone Girl“-Regisseur darauf bestand, in Schwarz-Weiß und im Stil von „Citizen Kane“ zu drehen. Anfang der 2000er sahen die Finchers dann ein, dass es „Mank“ wohl niemals geben wird …

    Ein Auftrag von Orson Welles...

    … und trotzdem kommt „Mank“ 20 Jahre später nun doch noch! Als die Netflix-Verantwortlichen ihrem „Mindhunter“-Mastermind völlige freie Hand für sein nächstes Projekt gaben, erinnerte sich David Fincher an das alte Drehbuch seines Vaters. Gemeinsam mit Eric Roth („Forrest Gump“) ging er noch einmal über das Skript, wobei trotzdem Jack Fincher als einziger Autor im Vorspann genannt wird. Schließlich lässt sich David Fincher ohnehin nie als (Co-)Autor nennen – ganz im Gegensatz zu Orson Welles, der bei „Citizen Kane“ ursprünglich sogar darauf bestand, als alleiniger Autor in Erscheinung zu treten.

    Der legendäre Hollywood-Streit über die Autorenschaft von „Citizen Kane“ spielt auch in „Mank“ eine Rolle. Aber obwohl Herman Mankiewicz im Film als (scheinbar) entscheidender Urheber des Klassikers auftritt, spielt dieser Streit am Ende doch nur eine Nebenrolle. In „Mank“ geht es um so viel mehr – um Politik, um Fake News, um die verlogene Seite Hollywoods und vor allem um menschliche Tragödien. Das alles wirkt so aktuell, dass man kaum glauben mag, dass das Drehbuch schon vor mehr als 20 Jahren geschrieben wurde. Dass zwischen der beißend-zynischen Sicht auf Politik und Filmgeschäft aber immer auch die unbedingte Liebe zum Kino präsent bleibt, ist vielleicht das Beeindruckendste an der Netflix-Produktion.

    Abrechnung eines Alkoholikers

    1940 bekommt der abgehalfterte Drehbuchautor Herman J. Mankiewicz (Gary Oldman) einen verlockenden Auftrag: Dem Radio-„Wunderkind“ Orson Welles (Tom Burke) wurde für sein Kino-Regiedebüt absolute kreative Freiheit zugesichert – und Mank, wie alle Welt den Autor nennt, soll es schreiben. Gerade einmal zwei Monate bekommt der alkoholkranke und nach einem Unfall bettlägerige Autor Zeit – und macht sich so mit der britischen Schreibkraft Rita (Lily Collins) und der deutschen Krankenschwester Freda (Monika Gossmann) auf einer abgelegenen Farm in der Mojave-Wüste ans Werk.

    Nicht nur sein Bruder Joe (Tom Pelphrey) warnt Mank vor diesem Job, für den er zwar viel Geld bekommt, aber zu Gunsten seines Regisseurs auf eine Nennung als Autor verzichten soll. Alle haben Angst, dass sich der Autor mächtige Feinde macht – denn das offensichtliche Vorbild für die Filmgeschichte ist das Leben des einflussreichen Zeitungsmoguls William Randolph Hearst (Charles Dance). Doch die ständigen Ermahnungen scheinen Mank erst recht anzutreiben. Er war auf den Dinnerpartys des Milliardärs lange selbst ein gern gesehener Gast und eng mit der von Hearst geliebten und protegierten Schauspielerin Marion Davies (Amanda Seyfried) befreundet. Seitdem hat sich jedoch einiges geändert – und so wird „Citizen Kane“ zur Abrechnung mit Hearst, aber auch mit dem Teil der Hollywoodelite, für den besonders MGM-Studioboss Louis B. Mayer (Arliss Howard) steht...

    MGM-Boss Mayer erklärt den Mankiewicz-Brüdern, wie sein Hollywood funktioniert.

    Was genau den Autor antreibt, macht einen beträchtlichen Teil von „Mank“ aus, ein Großteil des Films besteht deshalb aus Rückblenden in das Hollywood der 1930er Jahre. Immer wieder wird das Bild des im Bett grübelnden Manks ganz langsam schwarz und die folgende Aufblende begleitet vom Tippen einer Schreibmaschine. Eine Buchstabe für Buchstabe erscheinende Drehbuchanweisung verortet die folgende Szene. So heißt es zum Beispiel: „EXT. MGM Studios – Day – 1934 (FLASHBACK)“. Wie „Citizen Kane“ springt auch „Mank“ durch die Zeit – was im Film selbst ebenso direkt angesprochen wird wie der Umstand, dass man ein ganzes Leben nicht in zwei Stunden im Kino erzählen kann.

    Immer wieder nimmt David Fincher nicht nur in Dialogen, sondern auch mit seinen Bildern Bezug auf den Über-Klassiker von Orson Welles, der in Kritikerabstimmungen immer wieder zum besten Film aller Zeiten gewählt wird. „Mank“ ist vor allem visuell Verbeugung und Hommage, einige Passagen aus „Citizen Kane“ werden sogar direkt zitiert – ganz deutlich zum Beispiel die berühmte, aus den Händen des sterbenden Charles Foster Kane rollende Schneekugel. Aus demselben Blickwinkel gefilmt ist es hier eine Flasche, die aus den Händen des einschlafenden Manks fällt. Und wenn Orson Welles zu Beginn auftritt, erscheint diese übergroße Persona mit der eindrucksvollen Stimme als gewaltige Gestalt wie in einem Fiebertraum – also genau so, wie sich Welles in der Öffentlichkeit gerne selbst in Szene setze.

    Ein Film für Kenner

    Mit seinen vielen Verweisen ist „Mank“ ganz sicher ein Insider-Film. Wer „Citizen Kane“ nicht kennt, wird weniger Spaß haben als andere – und wer im Hollywoodgeschäft der 1930er nicht bewandert ist, dürfte sogar erhebliche Verständnisprobleme bekommen. David Fincher verzichtet weitestgehend auf Erklärungen. Wenn legendäre Drehbuchautoren wie Ben HechtCharles MacArthur und Charles Lederer in einem Raum zusammenkommen, werden sie zwar kurz namentlich erwähnt, aber das war es dann auch. Leinwandstars jener Zeit lässt er oft sogar wortlos oder nur für wenige Sätze durchs Bild huschen, ohne zu adressieren, wer das da eigentlich gerade ist. Ähnlich wie Quentin Tarantino in „Once Upon A Time... In Hollywood“, aber für Fortgeschrittene.

    Allein in der ersten halben Stunde sind mit Postern, Mini-Auftritten und sogar kurzen Dialogzeilen Anspielungen auf mindestens ein Dutzend Filme aus den Anfängen des Tonfilms versteckt – und nicht immer ist dies lediglich Atmosphäre lieferndes Beiwerk. Wer zum Beispiel nicht um die spätere, Manks Erfolge weit übertreffende Karriere des vierfachen Oscarpreisträgers Joseph L. Mankiewicz („Alles über Eva“) weiß, der wird einfach nicht verstehen, warum einige der Szenen um den kleinen Bruder der Hauptfigur so witzig sind. Die zahlreichen Bezüge auf die gerade gegründete Gilde der Drehbuchautoren, der laut Mank nicht nur ein Apostroph fehlt, richten sich ebenso an ein Publikum, das mit dem Hollywood-System mehr als nur rudimentär vertraut ist.

    Besoffen und allein gegen alle: Mank in seinem Element.

    Dass „Mank“ auch abseits der Hollywood-Interna herausragende Qualitäten entwickelt, liegt auch an einem Drehbuch, das zwar mehr als 20 Jahre alt ist, aber trotzdem hochaktuell wirkt – vor allem der Handlungsstrang um den demokratischen Gouverneurs-Kandidaten Upton Sinclair, dessen Wahl von den Hollywoodbossen unter anderem mit gefälschten Nachrichtenschnipseln verhindert wurde. Wenn man sieht, welche zentrale Rolle Wahlbeeinflussung durch Fake News heutzutage einnimmt, fühlt man sich immer wieder an die aktuelle Situation erinnert. Trotzdem fällt es nicht schwer, zu glauben, dass Jack Fincher dies schon in den 1990er Jahren so aufschrieb – schließlich passt das zeitlose Thema ganz logisch zu „Mank“: Welche Macht haben die Medien? Wie beeinflussen sie den Wahlausgang? Das sind bereits bestimmende Motive in „Citizen Kane“.

    In „Mank“ sind all diese Punkte in einen umfangreichen Themenkomplex eingebunden – und das nie trocken, weil immer nah am Schicksal von Menschen erzählt. Das ist oft hochspannend - gerade durch den ständigen Zeitebenwechsel. Die Szenen des schreibenden Autors im Jahr 1940, die immer mit einem Kameraschwenk auf seine Notizbücher eingeleitet werden, ergänzen sich hervorragend mit den Rückblenden. So entsteht eine doppelt fesselnde Parallelerzählung um die offenen Fragen: Woher stammt Manks Hass auf seinen großzügigen Gönner William Randolph Hearst und vor allem seinen langjährigen Arbeitgeber Louis B. Mayer? Und wieso will er plötzlich unbedingt doch einen Credit für das Drehbuch von „Citizen Kane“?

    David Fincher auf dem Höhepunkt

    Die Inszenierung von „Mank“ ist schlicht herausragend. Dabei ist der nicht nur sensationell ausgestattet und gefilmt, sondern auch geschnitten. Es fällt leicht, sich in den zugleich schwelgerischen und absolut präzisen Bildern von Chef-Kameramann Erik Messerschmidt zu verlieren. Allein deswegen kann man sich „Mank“ immer wieder und wieder anschauen (der Autor dieser Zeilen bereits drei Mal in fünf Tagen). Dazu kommt eine musikalische Untermalung des Nine-Inch-Nails-Duos Trent Reznor und Atticus Ross, das für „The Social Network“ mit einem Oscar ausgezeichnet wurde und auch diesmal wieder einen Score abliefert, der nicht nur perfekt in die porträtierte Ära passt, sondern auch die fiebrige Spannung voranpeitscht.

    Aber auch hier wendet sich David Fincher vor allem an Cinephile. Der Regisseur weicht mehrfach von den Regeln „moderner Inszenierungen“ ab und bemüht stattdessen Stilmittel, wie sie in der Zeit von „Citizen Kane“ in Mode waren - so zum Beispiel die Rückprojektion bei Autofahrten oder das langsame Überblenden statt harter Schnitte. Das geht sogar so weit, dass er kleine „Fehler“ einbaut, als wäre das genutzte Filmmaterial alt und beschädigt. Da rauscht es dann mal leicht auf der Tonspur oder das Bild macht einen kurzen Sprung. Diese Effekte sind oft so subtil eingesetzt, dass es einem Gros der Zuschauer wahrscheinlich nicht einmal auffallen wird.

    Amanda Seyfried ist Marion Davies.

    Dazu kommt eine sensationelle Besetzung – und dabei ist zuallererst Amanda Seyfried („Ted 2“) zu nennen: Sie führt eine ganze Reihe spannender, sich erst im Laufe des Films als richtig stark herausstellender Frauenfiguren an. Mit ihrer Darbietung der von ihrem reichen Liebhaber protegierten Marion Davies erschafft sie nicht nur eine komplexe Figur, sondern wirft auch noch einmal ein ganz neues Licht auf Davies’ „Citizen Kane“-Wiedergängerin Susan Alexander.

    Trotzdem bietet „Mank“, der Titel verrät es schon, vor allem eine Bühne für Gary Oldman. Der Oscarpreisträger (für „Die dunkelste Stunde“) ist zwar schon jenseits der 60 – und damit auf den ersten Blick eigentlich 20 bis 30 Jahre zu alt für die Rolle. Aber das passt erstaunlich gut zur durch Alkoholismus und Niederschläge trotz des jungen Alters völlig verlebten Figur. Gary Oldman lässt uns mit dem nicht immer sympathischen Herman Mankiewicz mitfühlen – und sorgt so dafür, dass „Mank“ trotz aller Tiefschläge auch verdammt vergnüglich und kurzweilig gerät.

    So komisch war Fincher selten

    Es macht unglaublichen Spaß, wie Gary Oldman durch Szenen torkelt und die sensationellen, oft vielschichtigen und doppeldeutigen Dialogzeilen seiner Figur aufsagt. Sobald Mank den Mund aufmacht, entfalten sich meist Szenen von doppelbödigem Witz, wozu auch die genialen, an alte Screwball-Klassiker erinnernden Dialoge beitragen. In einer Sequenz gelingt es sogar, wenn er bewusst schweigt: Als er nach der Aufforderung seiner Frau, nix zu sagen, wenn es nichts Nettes ist, eine komplette Begrüßungsrunde besonders kunstvoll und elaboriert schweigend und mit bloßem Mineneinsatz absolviert, drückt das einerseits Manks Verabscheuung für die anwesende Hollywood-Elite aus - ist andererseits aber auch einfach große Comedy mit Stummfilm-Anleihen.

    Manks Abscheu kommt ohnehin immer wieder durch, denn der Autor ist hier ein unglaublicher Zyniker. Obwohl er sein Geld dort verdient, hasst er das System Hollywood – und antwortet auf die Frage, wie man mehr Leute ins Kino treiben könne, sogar mit dem Vorschlag, einfach Filme auf der Straße zu zeigen. Dann nämlich würden die Leute vor den miesen Filmen in die Kinos flüchten. An anderer Stelle liefert Studioboss Mayer erst eine tränenreiche Performance, um seine Angestellten zum Gehaltsverzicht zu bewegen, um später eine ähnliche Schauspieleinlage bei der Beerdigung seines engsten Vertrauten hinzulegen. Man versteht, warum Mank dieses verlogene Hollywood so sehr verachtet …

    Mayer und Hearst werden von Mank besonders verabscheut.

    … und trotz all dieses Zynismus, all dieser Ablehnung für ein reaktionäres, liberale Kräfte zerstörendes System, schwingt in „Mank“ jederzeit die Liebe zum Kino mit – selbst in den niederschmetterndsten Momenten. Schließlich kann die vielbeschworene „Movie Magic“ nicht nur einen progressiven, für Gerechtigkeit eintretenden Politiker als Kommunisten brandmarken und zerstören, sondern uns halt einfach auch glauben lassen, dass King Kong zehn Stockwerke groß und Mary Pickford noch mit 40 Jahren eine Jungfrau ist.

    Fazit: „Mank“ ist ein für Cinephile gemachtes Meisterwerk. Wer einfach nur durch Zufall bei Netflix reinschaut, wird vermutlich nicht ganz so viel Vergnügen mit all den Insider-Jokes haben – aber auch so begeistern die Bilder und Schauspieler, während die ebenso berührende wie spannende, Machtmechanismen mit zynischem Humor entlarvende Geschichte durchweg fesselt.

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