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    Spirit - frei und ungezähmt
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    2,5
    durchschnittlich
    Spirit - frei und ungezähmt

    Für Fans der Serie - und nicht für die des ersten Kinofilms

    Von Oliver Kube

    2002 kam der größtenteils noch traditionell animierte „Spirit - Der wilde Mustang“ als fünfter selbstproduzierter Spielfilm des Animations-Arms des Hollywood-Studios DreamWorks in die Kinos. Direkt nach dem turbulenten CGI-Megahit „Shrek - Der tollkühne Held“, der als erste Produktion den Oscar in der neukreierten Kategorie „Bester animierter Film“ gewann, erzielte der eher ruhige und nachdenkliche Familien-Western allerdings nur ein höchst mittelmäßiges Einspielergebnis. Normalerweise wäre es das gewesen. Etwaige Ideen für eine Fortsetzung der Story um ein in seinem Freiheitsdrang nicht unterzukriegenden Wildpferd verschwanden ganz unten in den Schubladen …

    … nur um dann 15 Jahre später doch wieder herausgekramt zu werden. Denn da entstand die erste Staffel von „Spirit: Wild und frei“, einer komplett computeranimierten TV-Serie für Kinder. Auf Netflix avancierte die Reihe zu einem solchen Hit für den Streaming-Service, dass dieser bisher stolze acht Staffeln (+ Kurzfilme und Weihnachts-Special) produzieren ließ. Bei so viel Popularität war es nur ein Frage der Zeit, bis doch noch ein zweites Kino-Abenteuer in Angriff genommen würde. Mit dem von Elaine Bogan und Ennio Torresan Jr. verantworteten „Spirit - frei und ungezähmt“ ist es nun soweit. Das Regie-Duo füllt die Leinwand trotz der Streaming-Wurzeln mit ansprechenden Bildern aus und auch atmosphärisch gibt es wenig zu meckern. Signifikante Schwächen tun sich aber in Bezug auf Story, Timing, Charakter-Entwicklung und die Musik auf.

    Lucky verliebt sich schon bei ihrer Ankunft sofort in den wilden Mustang Spirit.

    Seit dem Unfalltod ihrer Mutter, die eine ebenso talentierte wie mutige Kunstreiterin war, lebt Lucky Prescott (Stimme im Original: Isabela Merced) bei ihrer Tante Cora (Julianne Moore) in der Stadt. Ihr Vater, der Eisenbahn-Pionier Jim (Jake Gyllenhaal), sah sich nach dem Verlust seiner geliebten Frau nicht in der Lage, sich neben seinem Job auch noch um ein kleines Kind zu kümmern. Zehn Jahre später ist Jim wieder gefestigt und lädt seine Schwester ein, ihn mit der mittlerweile zwölfjährigen Lucky im Wüstenstädtchen Miradero zu besuchen.

    Schon der Trip wird für das Mädchen zum unvergesslichen Abenteuer. Aus dem Zug erspäht sie den Mustang Spirit und verliebt sich auf den ersten Blick. Als sie den Hengst das nächste Mal sieht, ist er jedoch von dem grobschlächtigen Hendricks (Walton Goggins) und seinen Kumpanen eingepfercht worden. Mit aller Gewalt will der Cowboy den Willen des Tieres brechen, damit er es besser verkaufen kann. Das will Lucky natürlich nicht zulassen. Gut, dass sie in Pru (Marsai Martin) und Abigail (Mckenna Grace) bereits zwei Freundinnen gefunden hat, die bereit sind, ihr bei ihrem riskanten Plan zu helfen…

    Nur für Fans

    Wenn euch diese Inhaltsangabe bekannt vorkommt, dann habt ihr wahrscheinlich die erste Folge der bereits erwähnten Serie mit dem Titel „Neue Freunde“ gesehen. Denn „Spirit - frei und ungezähmt“ erzählt die Auftaktepisode des Netflix-Hits einfach nochmal. Zwar deutlich ausführlicher und mit einigen Abweichungen gewürzt ist der Kinofilm also quasi ein Remake einer TV-Folge – und was sich jetzt vielleicht ein bisschen dünn anhört, das fühlt sich beim Schauen auch so an.

    Berührungspunkte mit dem ersten Kinofilm gibt es abseits des Namens des Pferdes hingegen kaum – und das gilt auch für den betriebenen Produktionsaufwand: Mit einem Budget von nur 30 Millionen Dollar ist „Spirit – frei und ungezähmt“ der mit Abstand kostengünstigste Film, den DreamWorks Animation jemals in die Kinos gebracht hat. Selbst „Antz“, das Debüt des Studios, war in der Herstellung fast doppelt so teuer – und das war noch in den 1990ern. Nur mal zum Vergleich: Die Filme der „Drachenzähmen leicht gemacht“- und „Kung Fu Panda“-Reihe hat sich DreamWorks jeweils etwa das Fünf- bis Sechsfache kosten lassen. Hier wird offensichtlich nur auf die eh schon bestehenden Fans der Netflix-Serie geschielt – der Versuch, womöglich auch ein breiteres Publikum zu überzeugen, wurde hingegen gar nicht erst eingepreist.

    Lucky, Pru und Abigail sind ein ziemlich cooles Heldinnen-Trio.

    Dass sich dieser Sparkurs auch qualitativ niederschlägt, ist nicht verwunderlich. Zumal die tatsächliche Animations-Arbeit komplett an Jellyfish Pictures outgesourct wurde. Das Londoner Indie-Studio hatte bis dato an kleinen bis mittleren Effekten für die Realfilm-Blockbuster „Star Wars 8: Die letzten Jedi“ und „Kingsman: The Secret Service“ sowie Premium-TV-Serien à la „Watchmen“ oder „Hanna“ und einer langen Reihe von Werbespots gearbeitet.

    An Projekten für die hier anvisierte Zielgruppe der Prä-Teens hatte Jellyfish bis dahin lediglich den 20-minütigen Kurzfilm „How To Train Your Dragon: Homecoming“ im Portfolio. Natürlich kann das Ergebnis ihrer Anstrengungen für „Spirit - frei und ungezähmt“ visuell nicht mit dem Besten von Disney („Die Eiskönigin“), Pixar („Luca“) oder auch nur Illumination Entertainment („Minions 2: Auf der Suche nach dem Mini-Boss“) mithalten. Dennoch haben die Briten die Aufgabe im Rahmen der ihnen zur Verfügung gestellten finanziellen Möglichkeiten erstaunlich ansprechend erledigt.

    Majestätische Mustangs

    Hat man sich erst einmal an die zunächst irritierend übergroßen Augen der menschlichen Figuren gewöhnt, passt alles schön harmonisch zusammen. Die Pferde, allen voran der Titelheld, muten angemessen majestätisch an – und die restlichen Tiere sehen niedlich und/oder witzig aus, ohne dabei allzu bizarr von ihren realen Vorbildern abzuweichen. Mal abgesehen von einem jungen Esel, dessen Kopf größer ist als sein kompletter restlicher Körper.

    Die Landschaften sind detailreich, aber nicht überladen. Egal ob bei Tag oder Nacht, auf einem großen Schiff oder in der freien Natur, in den engen Canyons oder auf offener Prärie: Die Atmosphäre ist immer stimmig. Offensichtlich hat man sich zudem viel Mühe gegeben, die aus der Serie bekannten Charaktere und Lokalitäten wiedererkennbar zu machen, ihnen fürs Kino zugleich aber einen eigenen, deutlich leinwandtauglicheren Look zu verpassen.

    Hendricks will Spirit unbedingt abrichten und verkaufen - aber da hat er die Rechnung ohne Lucky und ihre Freundinnen gemacht...

    Das Drehbuch ist insofern gelungen, dass es Lucky und/oder Spirit immer wieder vor recht spezielle, dennoch glaubhafte Situationen und Probleme stellt. Was leider längst nicht so gut funktioniert, sind die Lösungen, die für diese angeboten werden. Mehrfach fühlen sich diese nämlich viel zu simpel beziehungsweise wie aus dem Hut gezaubert an. Etwa als Papa Jim seiner viele Meilen entfernt in ernsthafte Schwierigkeiten geratenen Tochter dringend zur Hilfe kommen soll und er plötzlich das Tor zu einem bis dahin nicht zu sehenden Schuppen öffnet. In dem steht eine von ihm offenbar in Heimarbeit zusammengeschraubte, superschnelle Dampf-Lokomotive, mit der er direkt losbrettern kann…

    Während die Musik beim ersten Film (Score von Hans Zimmer, Songs von Bryan Adams) noch eine immens wichtige, erzählerische Komponente war, ist sie hier fast durchgehend lediglich Beiwerk. Der Score von Amie Doherty („Happiest Season“) ist funktional, entwickelt aber nie einen wirklichen emotionalen Punch. Auch die unter anderem vom Teen-Popstar Becky G. sowie „Fleet Foxes“-Frontmann Robin Pecknold interpretierten Lieder sind zwar nett, hinterlassen allerdings keinen bleibenden Eindruck.

    Viele Stars, wenig Persönlichkeit

    Dazu kommt, dass selbst einige der wichtigeren Figuren nur hauchdünn charakterisiert werden. Wenn man beispielsweise einen Star vom Kaliber eines Jake Gyllenhaal („Brokeback Mountain“) als Sprecher für Luckys Vater gewinnen kann, dann sollte man dieser Figur zumindest ansatzweise Tiefe geben. Auch die von Oscar-Gewinnerin Julianne Moore („The Big Lebowski“) gesprochene Cora hat nur wenig mehr zu bieten, als dass sie vom „Landgeruch“ angewidert ist und Angst hat, ihre teuren Kleider zu beschmutzen. Sogar der vierbeinige Titelheld bleibt diesmal seltsam blass in puncto Persönlichkeit.

    Erfreulich ist hingegen, dass die Diversität in Bezug auf die menschlichen Protagonisten im Kinofilm ebenso zwanglos locker und unverkrampft umgesetzt wird wie in der Streaming-Serie. Die drei Girls sind selbstbewusst, clever, untereinander absolut gleichberechtigt und geben so gute Vorbilder für kleinere Zuschauer*innen ab.

    Fazit: Kinder bis zu zwölf Jahren werden sich wohl eher nicht mit Big-Budget-Produktionen vergleichbaren Optik und den Holprigkeiten des ohnehin nur recycelten Drehbuchs stören. Für sie bietet „Spirit - frei und ungezähmt“ ein flott erzähltes, zum Finale sogar recht spannendes Abenteuer mit einem hübsch gezeichneten Pferd und drei sympathischen, mutigen Mädchen. Mittlerweile erwachsene Fans des ersten Films werden aber dessen visuelle Eleganz sowie den vergleichsweise fast schon philosophisch anmutenden, erzählerischen Charme vermissen.

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