Oldschool im allerbesten Sinne
Von Christoph PetersenClint Eastwood, Donald Sutherland, Tommy Lee Jones und James Garner waren 70, 65, 53 bzw. 72 Jahre alt, als sie in „Space Cowboys“ (2000) ein letztes Mal ins All aufbrachen – denn nur sie beherrschten die „antike“ Technik, die einen russischen Satelliten vor dem Absturz auf die Erde bewahren konnte. So ähnlich könnte man sich vielleicht auch die Arbeit an „The Alto Knights“ vorstellen, nur dass die zentralen Beteiligten sogar noch ein paar Jahrzehnte mehr auf dem Buckel haben: „Rain Man“-Regisseur Barry Levinson (82) hat schon seit 20 Jahren keinen Studiofilm dieser Größenordnung mehr gestemmt – dazu kommen der doppelte Robert De Niro (81), Drehbuchautor Nicholas Pileggi (91), Kameramann Dante Spinotti (81) und Produzent Irwin Winkler (93) als seine engsten Mitstreiter.
Angesichts der wenigen guten Mafiafilme der letzten Jahre – von Martin Scorseses „The Irishman“ abgesehen, für den Netflix allerdings über 200 Millionen Dollar in die Hand nahm – könnte es aber genau diesen Old Boys Club gebraucht haben, um dem Genre neuen Glanz zu verleihen. Und ganz so überraschend kommt das (trotz des Gimmicks, dass De Niro ohne ersichtlichen inhaltlichen Grund eine Doppelrolle spielt) auch gar nicht: Schließlich haben sich hier einige der zentralen kreativen Köpfe hinter Klassikern wie „GoodFellas“, „Casino“, „Heat“ und „L.A. Confidential“ zusammengetan, um einen Stoff fürs Kino umzusetzen, der bereits seit den 1970ern in der Mache ist, aber in dieser Zeit von so jedem großen Hollywoodstudio abgelehnt wurde – bis jetzt, kurz bevor es wohl endgültig zu spät gewesen wäre.
Frank Costello (Robert De Niro) und Vito Genovese (ebenfalls Robert De Niro) waren seit ihrer Kindheit beste Freunde. Gemeinsam haben sie sich als Söhne italienischer Immigrantenfamilien aus ärmlichen Verhältnissen bis an die Spitze der New Yorker Mafia hochgearbeitet. Als Vito 1937 wegen einer Mordanklage nach Italien fliehen musste, hat er Frank die Geschäfte in den USA überlassen – und nun, nach seiner Rückkehr, verlangt er sein Stück vom Kuchen zurück. Aber während Vito ein paranoider Hitzkopf ist, der in Italien zudem mit dem von seinen US-amerikanischen Kollegen verachteten Drogenhandel begonnen hat, ist Frank ein Diplomat, der sich immer wieder auch gemeinsam mit Prominenten und Politikern in der Öffentlichkeit zeigt.
Mit seinen Talenten hat Frank die New Yorker Mafiafamilien in eine ruhige Phase großen Wohlstands geführt – ohne interne Kriege fällt das Geldverdienen eben direkt sehr viel leichter. Aber Vito droht den Frieden zu zerstören – und tatsächlich wird Frank im Jahr 1957 von Vitos Handlanger Vincent Gigante (Cosmo Jarvis) niedergeschossen, obwohl es in Mafiakreisen streng verboten ist, einen Boss ins Visier zu nehmen, ohne dazu die Zustimmung der anderen Bosse zu haben. Obwohl die Kugel seinen Kopf trifft, überlebt Frank wie ein Wunder – und entwickelt einen Plan, die ganze Sache doch noch irgendwie zu regeln, ohne einen massiven Mafiakrieg vom Zaun zu brechen…
Bevor jetzt wieder jemand auf die Barrikaden geht: Das mit dem Mordanschlag ist kein Spoiler, sondern der Auftakt des Films. Die Vorgeschichte wird anschließend überwiegend mithilfe von Dias erzählt, die Frank Costello mit seinem kürzlich erstandenen Projektor vorführt. Währenddessen steuert De Niro einen Off-Kommentar wie in einer Talking-Heads-Dokumentation oder einem Reality-TV-Format bei – immer wieder spricht er in seinen beiden Rollen frontal direkt in die Kamera. Ob das von Anfang an so geplant war oder einfach Budgetgründe hatte, bleibt unklar. Aber dramaturgisch geht das Konzept trotzdem auf, selbst wenn es zu Beginn etwas dauert, bis man durchschaut hat, wer genau wer ist und wer auf wessen Seite steht.
Wobei eine anfängliche Verwirrung angesichts des massiven Personals gerade im Mafiagenre ohnehin eher die Regel als die Ausnahme ist. Die beiden Robert De Niros verwechselt man jedenfalls eher nicht, schließlich sieht Frank Costello in „The Alto Knights“ dem realen Schauspieler doch sehr ähnlich, während die Maskenbilder*innen bei Vito Genovese schon sehr viel dickere Schminke- und Latex-Schichten aufgetragen haben. Nicht wenige Zuschauende werden vermutlich glauben, dass De Niro deshalb zwei Parts spielt, weil die beiden Mafiosi Zwillinge gewesen sind. Aber das stimmt nicht, sie sahen sich in der Realität nicht mal besonders ähnlich. Es gibt also keinen auf der Hand liegenden Grund für diese im ersten – und auch zweiten – Moment verblüffende Casting-Entscheidung.
Womöglich hatte er einfach Bock darauf – oder es hat das Geld gefehlt, um einen zweiten Superstar bezahlen zu können, und man kann dem zweifachen Oscar-Gewinner De Niro (für „Der Pate 2“ und „Wie ein wilder Stier“) ja in einem solchen (Schauspiel-)Duell auch nicht einfach irgendwen gegenüberstellen. Aber wie dem auch sei: Selbst wenn es anfangs befremdlich ist, dass Robert De Niro ohne ersichtlichen Grund eine Doppelrolle spielt, haben wir uns daran schnell (und zwar schneller als beim De-Aging in „The Irishman“) gewöhnt – und dann einen der ganz Großen seines Fachs in Bestform genossen!
„GoodFellas“-Autor Nicholas Pileggi hat ihm dafür auch diesmal wieder hervorragende Dialoge auf den Leib geschrieben, wobei es diesmal weniger um das laute Poltern als vielmehr das leise Taktieren geht: Frank Costello ist schließlich ein erfahrener Diplomat, der niemals den Kopf verliert – und der sehr genau weiß, dass sein zurückgekehrter Freund eine tickende Zeitbombe ist, die sich selbst mit größter Sorgfalt und Präzision kaum entschärfen lassen wird. Da gibt es also keine großen Set Pieces, sondern vor allem Verhandlungen in Hinterzimmern oder Gespräche mit seiner treuen Ehefrau Bobbie Costello (Debra Messing). Doch gerade in der zweiten Hälfte, wenn sich „The Alto Knights“ vollständig auf die Ereignisse ab 1957 konzentriert, entwickelt sich unter Barry Levinsons kontrollierter Regie ein kaum zu bestreitender Sog.
Fazit: Ja, man sieht hier und dort, dass der kolportierte 45 Millionen Dollar teure „The Alto Knights“ nicht ganz so viel Budget zur Verfügung hatte wie die ganz großen Klassiker des Genres. Aber durch und durch klassische Mafiafilme dieser Qualität sind inzwischen eine solche Seltenheit geworden, dass wir über diesen verschmerzbaren Mangel in der B-Note nur allzu gerne hinwegsehen.
PS: Wenn ihr euch fragt, warum der ursprünglich „Wise Guys“ betitelte Film eigentlich „The Alto Knights“ heißt – dabei handelt es sich um einen Bezug zum Alto Knights Social Club, einem ehemaligen Club in New York, der als Treffpunkt für Mitglieder der italo-amerikanischen Gemeinschaft diente und eng mit den Aktivitäten der Mafia in der Mitte des 20. Jahrhunderts verbunden war.