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    Neu im Heimkino: Finsterer Erotik-Nachschub für alle Fans von "Fleabag" & Co.
    Sidney Schering
    Sidney Schering
    -Freier Autor und Kritiker
    Er findet Streaming zwar praktisch, eine echte Sammlung kann es für ihn aber nicht ersetzen: Was im eigenen Regal steht, ist sicher vor Internet-Blackouts, auslaufenden Lizenzverträgen und nachträglichen Schnitten.

    Für den britischen Regie-Exzentriker Ken Russell war „Die Hure“ einst ein Rückschlag. Doch sein raues Erotik-Drama hat es verdient, neu betrachtet zu werden – als Mischung aus Anti-„Pretty Woman“ und „Fleabag“-Vorläufer.

    cmv laservision

    Eine smarte, wortgewandte Frau hält der Gesellschaft ungehobelt den Spiegel vor – und kommuniziert während ihrer sexuell ungezügelten Story direkt mit dem Publikum: Serien- und Theaterfans dürften nun an „Fleabag“ denken, Phoebe Waller-Bridges Ein-Frau-Theaterstück, das zur Serien-Sensation wurde. Wer diesen Hit liebt, sollte einen Blick auf „Die Hure“ werfen.

    Denn Ken Russells wenig beachteter Film mag eine andere Tonalität haben, trotzdem weist er genug Parallelen zu „Fleabag“ auf, dass sich die Projekte reizvoll ergänzen. „Die Hure“ feierte diese Woche deutsche Blu-ray-Premiere – als limitiertes Mediabook mit mehreren Covern zur Auswahl:

    Egal, ob ihr euch für obige Variante, Cover B*, Cover C* oder Cover D* entscheidet: Inhaltlich sind die Mediabooks identisch. Sie enthalten den drastischen, bitterkomischen und absichtlich ungeschliffenen Film auf Blu-ray sowie DVD und ein Booklet. Auf den Discs befinden sich als Extra ein Making-of und ein Interview mit Hauptdarstellerin Theresa Russell.

    "Die Hure": Die kühle Antwort auf "Pretty Woman"

    Die Prostituierte Liz (Theresa Russell) ist aufreizend, selbstbewusst und gewieft: Sie meidet Tummelplätze des Nachtlebens von Los Angeles, wo viele ihrer Konkurrentinnen an Freier gelangen. Somit versucht sie, solchen schockierenden Vorfällen zu entgehen, wie sie sie zu Beginn ihrer Karriere als Frau der Nacht erleiden musste. Diese Vorsicht hat aber ihren Preis: Liz' brutaler Zuhälter Blake (Benjamin Mouton) bedrängt sie, mehr Geld heranzuschaffen. Als sie beschließt, sich dies nicht weiter gefallen zu lassen, hat das drastische Folgen...

    Der streitbare Regisseur Ken Russell („Die Teufel“) erachtete seinen 1991 gestarteten Blick auf die Gefahren der Sexarbeit als Antwort auf den Romantik-Komödienhit „Pretty Woman“. Während Julia Roberts eine Prostituierte spielt, deren Leben zum Märchen wird, wollten Russell und seine Ko-Autorin Deborah Dalton den Fokus auf die schmerzliche Realität lenken. „Die Hure“ zeigt allerdings nicht mit dem sprichwörtlichen, blanken Finger auf seine Protagonistin:

    Liz' Umstände werden als harsch dargestellt, sie jedoch nicht als hilfloses Opfer, geschweige denn als Person, die sich das Elend selbst eingebrockt hat. Sie ist die trotzige, aufgeweckte Heldin einer kargen Geschichte. Und sie ist mindestens so sehr damit beschäftigt, staubtrocken-zynisch die Fetische ihrer Kunden und die Absurditäten menschlicher Sexualität zu entlarven, wie damit, sich aus ihrer Misere zu lavieren.

    Harsche Monologe, zerstörerische Sexualität, keine vierte Wand

    Der Clash aus Liz' frustrierender Lebenslage und sarkastischem Humor, der sich öfters durch Kommentare äußert, mit denen sie die sogenannte vierte Wand durchbricht, weckt aus heutiger Sicht vage Erinnerungen. Insbesondere, wenn man bedenkt, dass „Die Hure“ auf einem Theaterstück basiert:

    Russells an den Kinokassen geflopptes Sexualitätsdrama ließe sich somit als entfernter Vorfahr von „Fleabag“ bezeichnen. Der Kinoflop von 1991 und die umjubelte, britische Serie teilen sich ihre Ursprünge auf britischen Bühnen, sowie den Spagat zwischen schmerzlichen Wahrheiten und eloquentem, flippigem Witz. Und die entlarvende Direktheit, mit der eine klare Linie zwischen Sexualität und alltäglichem Verhalten gezogen wird – im heilenden und zerstörerischen Sinne.

    Neu im Heimkino: Eines der größten Serien-Highlights der letzten 10 Jahre gibt’s jetzt endlich auch ohne Streaming-Abo!

    Das bedeutet selbstredend nicht, dass alle „Fleabag“-Fans automatisch „Die Hure“ lieben werden, schließlich gibt es neben diesen Parallelen genügend Unterschiede. Allein schon, weil sich Waller-Bridges Hit-Serie intensiv um das Innenleben (insbesondere das Selbstwertgefühl) der namenlosen Hauptfigur dreht, während es in „Die Hure“ vermehrt darum geht, wie Männer mit Liz umgehen und sie die Männer durchschaut.

    Und während „Fleabag“ dank Waller-Bridges nuancierter Performance allem Drama zum Trotz zuweilen Wärme ausstrahlt, dominiert in „Die Hure“ das klamme Gefühl, abgeschottet zu sein. Vielleicht sogar eine Spur zu sehr. Trotzdem: Wer sexuell aufgeladenen Geschichten über forsche, smarte Frauen, die sich harschen Gefühlen mit ironischer Brechung nähern, aufgeschlossen gegenübersteht, sollte „Die Hure“ eine Chance geben.

    Einer der besten Filme 2023 endlich im Heimkino: Für dieses poetische Meisterwerk bin ich gleich dreimal ins Kino gegangen!

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