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    Die Insel der besonderen Kinder
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    4,0
    stark
    Die Insel der besonderen Kinder
    Von Carsten Baumgardt

    Mit „Batman“ (1989) und „Batmans Rückkehr“ (1992) war er einst selbst der Wegbereiter der düsteren Comicverfilmungen, die Christopher Nolan im neuen Jahrtausend mit seiner „Dark Knight“-Trilogie zur Meisterschaft führte. Mittlerweile werden wir allerdings mit derart vielen gebrochenen Superhelden auf der Kinoleinwand bombardiert, dass es Regisseur Tim Burton nicht mehr gefällt: „Brauchen wir wirklich noch mehr Superhelden-Filme? Es hört nicht auf. Es ist unglaublich, wie lange das schon so geht und es werden mehr und mehr. Irgendwann werden die Leute diese Filme satt haben.“ Während Marvel und Warner CGI-lastige und sich meist stark ähnelnde Comic-Verfilmungen produzieren, bis die Rechner glühen, findet Burton einen eigenen Dreh und zeigt uns, wie sich eine Geschichte mit einem Effektfeuerwerk-Finale und einem mit Superkräften ausgetragenen Kampf zwischen Gut und Böse, auch heute noch mit frischem Schwung und ganz ohne von der Pein ihres Daseins gebeugte Heldenfiguren erzählen lässt. Seine fantasievolle und optisch brillante Bestseller-Verfilmung „Die Insel der besonderen Kinder“ ist ein schwärmerisch-verschrobenes Märchen für Erwachsene, das Einblicke in eine zauberhafte, verrückte und ein bisschen gruselige Welt gewährt.

    Der 16-jährige Außenseiter Jake (Asa Butterfield) hat es an seiner Schule in Florida nicht leicht. Sein bester Freund ist sein Opa Abe (Terence Stamp), der ihm zeitlebens schaurige Geschichten von „besonderen Kindern“ in einem Waisenhaus in Wales erzählt. Als Weltkriegsveteran Abe überfallen und getötet wird, glaubt Jake, riesige Monster gesehen zu haben - was ihn in psychiatrische Behandlung bringt. Um das Trauma zu überwinden macht sich Jake mit seinem Vater Franklin (Chris O’Dowd) auf den Weg nach Wales zur Insel der besonderen Kinder, erkundet die zerfallene Waisenhaus-Ruine aber lieber allein. Dort verschlägt es ihn plötzlich in das Jahr 1943, wo Heimleiterin Miss Peregrine (Eva Green) und ihre Schützlinge, darunter Emma (Ella Purnell), Oliver (Lauren McCrostie), Enoch (Finlay MacMillian) und Horace (Hayden Keeler-Stone), in einer selbst konstruierten Zeitschleife leben, in der sich der 3. September ständig wiederholt. Die Kinder, die Jake von Abes Bildern kennt, verfügen über unterschiedliche Superkräfte. Aber gegen den mächtigen Barron (Samuel L. Jackson), der mit seinen unsichtbaren Schattenwesen alle Zeitschleifen zerschlagen will, helfen die nur wenig …

    Ransom Riggs‘ Debüt-Roman von 2011 ist das perfekte Material für Tim Burton. Der Fantasy-Maestro legt mit „Die Insel der besonderen Kinder“ seinen besten Film seit dem Grusel-Musical „Sweeney Todd“ (2007) vor. Die Außenseiter-Welten seiner älteren Filme wie „Edward mit den Scherenhänden“, „Beetlejuice“ und „Sleepy Hollow“, finden mit ein bisschen „Harry Potter“-Schulgeschichtenmagie und ein paar Superhelden-Elementen zu einem typischen und zugleich durchaus überraschenden Burton-Film zusammen. Die Geschichte beginnt in der tristen Gegenwart, aber stakkatoartig eingesetzte Fantasy-Einschübe bereiten so elegant den Boden für den großen Sprung durch Zeit und Raum, dass er als logische Konsequenz des Geschehens erscheint. Und wie sich das für einen guten Fantasy-Film gehört, ist die Welt jenseits unserer eigenen weitaus interessanter und faszinierender als diese: Burton und seine Drehbuchautorin Jane Goldman („X-Men: Erste Entscheidung“) enthüllen bis zum großen Finale gekonnt eine Ebene nach der anderen, erhöhen damit schrittweise die Komplexität der Welt (und der Erzählung) und versetzen das Publikum immer wieder ins Staunen.

    Der Zuschauer erlebt die Geschichte aus der Perspektive des (ahnungslosen) Helden Jake, der nach und nach entdeckt, was die bisherigen 16 Jahre seines Lebens vor ihm verborgen lag. Asa Butterfield („Hugo Cabret“, „Ender’s Game“) gibt dem Außenseiter ein großes Herz und bildet mit der charismatischen Eva Green („Casino Royale“) als resolute, aber gutherzige Waisenbeschützerin Miss Peregrine (eine schaurige Mary Poppins) ein harmonisches Kampfgespann, das sich gut ergänzt. Auch die „besonderen Kinder“ der Insel sind abwechslungsreich gestaltet, die Motive und Hintergrundgeschichten der Bösewichte fallen dagegen sehr konventionell aus. Insbesondere Samuel L. Jacksons Auftritt erweist sich als kleine Enttäuschung: Während der „Pulp Fiction“-Star im großartigen „Kingsman“ (ebenfalls von Jane Goldman geschrieben) bewusst die Grenze zur Karikatur überschritten hat und auf eine ironische Metaebene vorgedrungen ist, gelingt dieser Kunstgriff hier nicht so gut. Seine Figur Barron (im Roman manifestiert als männlicher Psychiater Dr. Golan) ist einfach nur überkandidelt und ständig aufgedreht.   

    Das Setting im Wales des Kriegsjahres 1943 wirkt schrullig und angenehm altmodisch und die Handlung wird hauptsächlich von jugendlichen Helden bevölkert, aber Burton schlägt einen recht düsteren, zuweilen makabren Erzählton an, der eher an ältere Jugendliche und Erwachsene gerichtet ist. Der Regisseur mixt Motive aus alten Horrorfilmen, Märchen, Fabeln und Superheldengeschichten zu einer unwiderstehlichen und unverwechselbaren Melange à la Tim Burton. Die schwelgerischen, farbenprächtigen Bilder von Kameramann Bruno Delbonnel („Die fabelhafte Welt der Amelie“, „Dark Shadows“) decken das ganze Spektrum zwischen Wärme und Eiseskälte ab – und sorgen mit dafür, dass jede Szene dieses atmosphärisch ganz starken Films (auch das Produktionsdesign und die Musik leisten da ihren Beitrag) eine eigene angemessene Stimmung besitzt. Spezialeffekte setzt Burton dabei ganz behutsam ein, sie treten erst im visuell brillanten Showdown in den Vordergrund und runden den sinnlichen Kino-Hochgenuss spektakulär ab.

    Fazit: Tim Burton ist zurück – seine Jugendbuch-Verfilmung „Die Insel der besonderen Kinder“ ist ein atmosphärisch dichtes Fantasy-Märchen mit einer ungewöhnlichen Geschichte, fantastischen Bildern und sorgsam eingesetzten Spezialeffekten.

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