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    Tiefe Wasser
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,0
    solide
    Tiefe Wasser

    Der talentierte Mr. Affleck

    Von Christoph Petersen

    Zumindest auf dem Papier ist „Tiefe Wasser“ gleich in mehrfacher Hinsicht ein Ereignis: 20 Jahre nach seinem letzten Film „Untreu“ dreht „9 ½ Wochen“- und „Eine verhängnisvolle Affäre“-Regisseur Adrian Lyne im Alter von 80 Jahren noch einmal einen erotischen Thriller! Das Drehbuch stammt von Sam Levinson, der mit dem Zendaya-Megahit „Euphoria“ eine der aktuellen Serien-Sensationen schlechthin entwickelt hat!

    23 Jahre, nachdem sein bester Kumpel Matt Damon in „Der talentierte Mr. Ripley“ brilliere, verkörpert nun auch Ben Affleck den Protagonisten in einer Patricia-Highsmith-Adaption! Die weibliche Hauptrolle spielt Bond-Girl Ana de Armas, die nach ihrem Hit-Triple „Blade Runner 2049“, „Knives Out“ und „Keine Zeit zu sterben“ inzwischen zu den angesagtesten Schauspielerinnen Hollywoods zählt!

    Ein Hit für die Klatschpresse, aber nicht fürs Kino

    … und dazu kommt dann natürlich auch noch die ganze Aufmerksamkeit seitens des Boulevards, weil Ben Affleck und Ana de Armas am Set von „Tiefe Wasser“ im Jahr 2020 tatsächlich zum Paar wurden (selbst wenn sich die Sache inzwischen schon wieder erledigt hat). Aber trotz all dieser potenziellen Selling Points hat sich Disney entschieden, den Film nicht wie geplant in die Kinos zu bringen, sondern stattdessen an Streaming-Portale abzugeben (in den USA an Hulu, in Deutschland an Amazon Prime Video).

    Dabei ist die Entscheidung durchaus nachvollziehbar: Es ist zwar schön, mal wieder einen dieser abgründig-ambivalenten Thriller für Erwachsene zu sehen, wie es sie in den Neunzigern noch zuhauf und danach fast gar nicht mehr gab. Aber „Tiefe Wasser“ kommt einfach nie so richtig auf Temperatur – weder in den Spannungs- noch in den (sehr sparsam eingesetzten) Erotik-Szenen.

    Hat Vic (Ben Affleck) nur einen schlechten Scherz gemacht oder ist er wirklich ein eiskalter Killer?

    Vic (Ben Affleck) hat einst ein Programm entwickelt, das unbemannte Drohnen dabei unterstützt, Menschen aufzuspüren. Man könnte die Software nutzen, um zum Beispiel nach Verschollenen zu suchen – aber in Wahrheit wird die Technik natürlich vor allem für militärische Zielschläge eingesetzt. Auf jeden Fall hat sich Vic inzwischen mit seinen Millionen früh zur Ruhe gesetzt: In seiner Garage züchtet er Schnecken – und ansonsten kümmert er sich um seine sehr viel jüngere Frau Melinda (Ana de Armas) und die gemeinsame Tochter Trixie (Grace Jenkins). Melinda wiederum ist das Frührentnerdasein offenbar nicht genug …

    … und sie gibt sich nicht mal sonderlich Mühe, ihre jungen Liebhaber vor Vic zu verstecken. Ganz im Gegenteil führt sie ihre Lover bei High-Society-Veranstaltungen öffentlich vor – und lädt sie sogar zum Familienabendessen ein. Auf einer Party knöpft sich der gedemütigte Vic schließlich einen der Nebenbuhler (Brendan Miller) vor – und erzählt ihm, dass er es war, der einen seit Monaten spurlos verschwundenen Bekannten von Melinda umgebracht hat. Aber ist das wirklich nur ein makabrer Scherz – oder steckt womöglich doch mehr dahinter? Schon bald gibt es einen weiteren Todesfall…

    Melinda (Ana de Armas) hat kein Problem damit, ihre jungen Liebhaber auch öffentlich vorzuführen.

    Während es hinter der Kamera ordentlich gefunkt hat, geht es vor der Kamera eher hüftsteif zu: Dreieinhalb Dekaden, nachdem Mickey Rourke in „9 ½ Wochen“ den wohl legendärsten Eiswürfel der Kinogeschichte am Köper von Kim Basinger entlanggleiten ließ, gibt sich Adrian Lyne in „Tiefe Wasser“ erstaunlich zahm. Das mag am Zeitgeist oder am Alter liegen, aber es tut dem Film nicht gut, schließlich dreht sich hier ja alles um das – eben auch ganz stark sexuell geprägte – Machtgefüge zwischen Melinda und Vic.

    Dafür ist Ben Afflecks Performance – zumindest außerhalb des Schlafzimmers – die größte Stärke des Films: Im melancholischen „Sad Ben Affleck“-Meme-Modus bleibt Schneckenzüchter Vic lange Zeit schwer durchschaubar. Ist er nun ein armes Würstchen oder ein mörderischer Psychopath? Wer hält nun wirklich die Zügel in der Beziehung in der Hand? Wer spielt hier mit wem? Wer den Roman von Patricia Highsmith nicht gelesen und die früheren Verfilmungen („Stille Wasser“ mit Isabelle Huppert von 1981 und den ZDF-Zweiteiler „Tiefe Wasser“ von 1983) nicht gesehen hat, der kann sich selbst nach der Hälfte der Spielzeit noch immer nicht sein, wohin sich die Story eigentlich entwickeln wird.

    Zumindest das neue Ende hat es in sich

    Wenn „Tiefe Wasser“ dann doch (erstaunlich plötzlich) seine Karten offen auf den Tisch legt, steuert der Thriller zunächst auf ein eher herkömmliches Spannungsfinale (mit zumindest spektakulärer Mountainbike-Verfolgung) zu, bevor er mit der letzten Einstellung noch einmal eine wunderbar finstere Schlusspointe präsentiert. Das neue Ende ist die eine Änderung gegenüber dem Roman, die wirklich gut funktioniert – während die ganze Geschichte um Vics gutgemeinte, aber dann doch vor allem zerstörerische Drohnen-Erfindung zwar noch einmal den abgründigen Charakter der Erzählung unterstreicht, aber letztlich viel zu unterentwickelt bleibt, um ihr etwas wirklich Substanzielles hinzuzufügen.

    Fazit: „Tiefe Wasser“ ist ein abgründiges Thriller-Drama, in dem die ganze moralische Verdorbenheit der durch die Bank unsympathischen Figuren schonungslos offengelegt wird. Trotz der starken, weil lange Zeit aufregend-ambivalenten Performance von Ben Affleck hätte der Film aber durchaus eine ganze Menge mehr an Spannung und Feuer vertragen können.

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