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    Sergio Leone: The Italian Who Invented America
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,5
    gut
    Sergio Leone: The Italian Who Invented America

    Da kriegt man richtig Block auf seine Filme!

    Von Björn Becher

    Wenn Quentin Tarantino direkt zum Start von „Sergio Leone: The Italian Who Invented America“ in seiner unnachahmlichen Art loslegt, dann bekommt man kurz Angst, dass der „Django Unchained“-Kultregisseur den Film mit seiner Leidenschaft zu erdrücken droht – das ist schließlich auch schon bei anderen Italo-Western-Dokus mit ihm als Talking Head so geschehen. Aber die in den Tarantino-Monolog eingewobenen Ausschnitte von u. a. Steven SpielbergMartin Scorsese und Clint Eastwood zeigen bereits, dass Francesco Zippel für seine Dokumentation über Sergio Leone noch zahlreiche weitere hochkarätige Gesprächspartner*innen gewinnen konnte.

    So setzt Zippel im Fortlauf Tarantino nur sehr dosiert ein, auch wenn er neben Martin Scorsese, Komponistenlegende Ennio Morricone, Leone-Biograf Sir Christopher Frayling und dem sehr präsenten Steven Spielberg eine der Stimmen ist, die uns den kompletten 107 Minuten langen Film hindurch begleiten. Filmemacher-Doku-Experte Zippel („Friedkin Uncut“, „Oscar Micheaux: The Superhero Of Black Filmmaking“) wurde von Raffaella und Andrea Leone dabei unterstützt, einen Film über ihren Vater zu machen. Da er sich im Wesentlichen an der Filmografie des Porträtierten entlanghangelt und sich der Erkenntnisgewinn für Kundige dabei im Rahmen hält, ist trotzdem eine vor allem zum Ende hin sehr liebevolle Dokumentation dabei herauskommen.

    Eine große Verbeugung vor Sergio Leone!

    Neben seinen zahlreichen Talking Heads setzt Zippel auf zahlreiche Archivaufnahmen sowohl von den Filmdrehs als auch von Interviews und anderen öffentlichen Auftritten Leones. Ein paar Privataufnahmen und natürlich ganz, ganz viele Filmszenen gesellen sich dazu. Los geht’s mit einer kurzen Einführung zu seinem Vater, den in den 1910er- und 1920er-Jahren legendären, später von den Faschisten an seinem Beruf gehinderten Stummfilmregisseur Roberto Roberti. Auch Leones lange Zeit als Assistenzregisseur und sein Debüt „Der Koloß von Rhodos“ werden mit kurzen Erwähnungen nicht völlig ausgespart – aber dann geht’s auch schon sehr schnell los mit einem ausführlichen Segment über seine berühmte Dollar-Trilogie „Für eine Handvoll Dollar“, „Für ein paar Dollar mehr“ und „Zwei glorreiche Halunken“.

    Während vor allem Spielberg und Scorsese viel über die Wirkung und das Neue an Leones Western erzählen, ist dieser Teil der Dokumentation noch sehr von Anekdoten geprägt. Da schildert Clint Eastwood einmal mehr, dass er davon ausging, dass der Film wohl längst im Müll gelandet sei, als er plötzlich im Branchenmagazin Variety davon las, dass da in Italien ein Film mit ihm gerade sehr erfolgreich in den Kinos läuft. Viel interessanter ist aber der Abschnitt im Anschluss, der sich einer ganzen Reihe von Aspekten in Leones Schaffen widmet: Wenn da erst ausgiebig die hohe Bedeutung der Musik analysiert wird, um dann die Theorie aufzustellen, dass Leone vielleicht der letzte große Stummfilmregisseur war, und im Anschluss die Arbeit des Geräuschemachers erklärt wird, bildet sich zwischen all den flotten Themensprüngen eine schöne rote Linie heraus.

    So viel Prominenz wäre gar nicht nötig gewesen

    Hier unterstreicht Zippel gekonnt mit Bildern die Aussagen seiner Experten und zeigt uns zum Beispiel rund um die Stummfilmdebatte passende Szenen mit Kneipenwirt Moe (Larry Rapp) aus „Es war einmal in Amerika“, in denen tatsächlich kein gesprochenes Wort, sondern nur Musik zu hören ist. Spannend wird die Dokumentation zudem, wenn ein Comic-Künstler wie Frank Miller („Sin City“) seinen Blick auf den Filmemacher teilt oder dessen Weggefährte Dario Argento über die Entstehung des gemeinsamen Drehbuchs zu „Spiel mir das Lied vom Tod“ erzählt.

    Bei einigen der nur kurz auftauchenden Gesprächspartner, zu denen u. a. noch die Regisseure Darren Aronofsky, Damien Chazelle, Tsui HarkJacques Audiard und Giuseppe Tornatore gehören, bleibt aber der Eindruck zurück, dass ihre zwei, drei Szenen nur im Film sind, weil halt mit ihnen gesprochen wurde und man sie nicht komplett auf dem Boden des Schneideraums zurücklassen wollte. Zu großer Klasse läuft die Dokumentation dagegen nach dem chronologischen Abhaken der Filmografie im finalen Dritten auf, wenn nach „Spiel mir das Lied vom Tod“ (ausführlicher) und „Todesmelodie“ (knapper) über „Es war einmal in Amerika“ gesprochen wird.

    Auch Comic-Legende Frank Miller spricht ausführlich über Sergio Leone.

    Die Diskussion über Leones Herzensprojekt nimmt den größten Raum ein. Es wird erzählt, wie die Regie-Legende in einer zwölf Jahre langen Zwangspause Angebot um Angebot ablehnte, weil er nur „Es war einmal in Amerika“ machen wollte – und dabei besticht die Dokumentation plötzlich mit einer überraschender Emotionalität. Zwischenzeitlich wirkt der Sprung von Leones Enttäuschung, dass Warner ihm nach der umjubelten Cannes-Premiere seinen Film wegnimmt, um für den US-Kinostart eine Stunde herauszuschneiden, zum dann doch nie realisierten Versuch, einen Kriegsfilm in Russland auf die Beine zu stellen, zwar etwas abrupt. Aber nicht nur wenn Leones Töchter über das Leuchten in den Augen ihres Vaters beim 20 Minuten andauernden Applaus in Cannes reden, wird einem ganz warm ums Herz.

    Ähnliches gelingt auch Leones Stars: Da ist zum einen Robert De Niro mit seiner Theorie, dass sich der auf fünf Monate angesetzte Dreh nur deshalb immer weiter verzögerte (am Ende war es fast ein Jahr), weil der Regisseur am liebsten wohl nie mehr aufgehört hätte. Da ist aber auch Jennifer Connelly, die mit Tränen in den Augen erzählt, wie Leone ihre Liebe zum Kino geweckt hat und welche Rücksicht der sanftmütige Regisseur auf die Kinderdarstellerin zu jeder Zeit am Set genommen habe. Und da darf auch Eastwood noch mal ein paar Worte direkt an seinen einstigen Weggefährten richten. Es ist ein passender Schlusspunkt, nachdem man zurückblickt und sich denkt: „Viel neues habe ich zwar nicht erfahren, aber nach unterhaltsamen 107 Minuten habe ich jetzt richtig Bock auf einen Leone-Film!

    Fazit: Eine hochkarätig besetzte Dokumentation über Regie-Legende Sergio Leone, die zwar wenig Neues bietet, aber sehr unterhaltsam ist und vor allem riesig Lust auf seine Filme macht.

    Wir haben „Sergio Leone: The Italian Who Invented America“ beim Filmfest in Venedig gesehen, wo er als Teil der Reihe Venice Classics seine Weltpremiere gefeiert hat.

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