From Dusk Till Dawn – Blues Edition!
Von Christoph PetersenWenn sich Salma Hayek als Schlangentänzerin Santanico Pandemonium auf der Bühne des Biker-Treffs Titty Twister in eine blutrünstige Vampirin verwandelt, sind bereits 61 von 108 Minuten vergangen. Bis dahin wirkte Robert Rodriguez’ Kultfilm „From Dusk Till Dawn“ noch wie ein ganz klassisches Gangster-Roadmovie, ganz ohne Fantasy-Einschlag, aber dafür gewürzt mit den lakonisch-coolen Dialogen von Drehbuchautor Quentin Tarantino. In „Blood & Sinners“ dauert es ebenfalls eine gute Stunde, bis mit dem Blutsauger Remmick (Jack O'Connell) erstmals ein übersinnliches Element in die im Mississippi des Jahres 1932 angesiedelte Story eindringt.
Bis dahin begeistert der fünfte Langfilm von Ryan Coogler als bluesiges Südstaaten-Gangsterdrama, das bereits in diesen frühen Szenen mit einer derartigen Bildgewalt auftrumpft, dass man – zum Glück nur ganz kurz – sogar ein bisschen traurig ist, dass es fortan als Horrorfilm weitergeht, der sich den deutschen Titelzusatz „Blood“ (im Original heißt der Film nur „Sinners“) redlich verdient. Und nicht nur der plötzliche Genre-Wechsel mahnt an Quentin Tarantino – auch im bleihaltigen Finale fühlt man sich auf inspirierende Weise an die aus „Django Unchained“, „Inglourious Basterds“ und „Once Upon A Time… In Hollywood“ bestehende Revisionist History Rache-Trilogie des „Pulp Fiction“-Schöpfers erinnert.
Sieben Jahre lang waren die berühmt-berüchtigten Zwillinge Smoke und Stack (Michael B. Jordan in einer Doppelrolle) in Chicago, wo sie während der Prohibition ordentlich Reibach gemacht haben. Es gibt sogar Gerüchte, sie hätten für Al Capone persönlich gearbeitet. Nun sind sie zurück in ihrer (fiktiven) Heimatstadt Clarksdale, um in einer leerstehenden Mühle einen Nachtclub zu eröffnen. Am Tag vor der Eröffnung ihres Juke Joints gibt es noch eine Menge zu tun: Der Alkohol muss herangeschafft werden, ein ordentliches Namensschild fehlt noch – und um frühere Liebschaften wie Mary (Hailee Steinfeld) und Annie (Wunmi Mosaku) will sich auch noch gekümmert werden.
Aber mit ihrem Bluesgitarre spielenden Cousin Sammie (Miles Caton), dem Sohn des örtlichen Predigers, haben die Zwillinge zumindest schon mal einen Musik-Act für die große Party gefunden: Der Legende nach gibt es Künstler, deren Musik so rein ist, dass sie die Kraft besitzt, die Grenze zwischen Leben und Tod zu überwinden – und offenbar verfügt Sammie über genau diese seltene Gabe. Allerdings hat die Musik nicht nur eine heilende Wirkung, sie lockt auch das Böse an, diesmal in Form des Vampirs Remmick der seine Blutsauger-Armee schnell vergrößert, um das Juke Joint so lange zu belagern, bis ihn endlich jemand hereinbittet…
Nach seinen Megahits „Creed“, „Black Panther“ und „Black Panther 2“ wagt sich Ryan Coogler nun erstmals an einen Stoff, der weder auf realen Ereignissen noch auf einem bereits existierenden Franchise beruht – und trotzdem ist ein Bieterwettstreit zwischen mehreren Hollywoodstudios um das Projekt entbrannt: So standen dem „Nächster Halt: Fruitvale Station“-Regisseur am Ende zwischen 90 und 100 Millionen Dollar als Budget zur Verfügung – eine eigentlich unerhörte Summe für einen derart ambitionierten historischen Horrorfilm. Statt in Computereffekte floss das Geld sichtbar vor allem in Sets und Ausstattung – und genau dort ist es auch am besten aufgehoben.
„The Last Showgirl“-Kamerafrau Autumn Durald schafft aus dieser Steilvorlage GROSSE Bilder, die auch deshalb so elegant-episch wirken, weil sie ausschließlich auf 65mm-Analogmaterial gefilmt wurden. In ausgewählten Szenen kamen zudem spezielle IMAX-Kameras zum Einsatz, weshalb sich das Seitenverhältnis im Verlauf des Films (auch in Nicht-IMAX-Vorstellungen) mehrfach ändert – und zwar auf durchaus extreme Weise zwischen dem IMAX-Format (1,43:1) bis hin zu Ultra Panavision (2,76:1). So gelingt immer wieder der feine Spagat zwischen der epischen Weite der Baumwollfelder und der beklemmenden Enge des von Vampiren belagerten Juke Joints.
Wenn man nur eine Handvoll Einstellungen speziell aus der ersten Hälfte von „Blood & Sinners“ sieht, ohne irgendetwas Weiteres über das Projekt zu wissen, dann würde man wohl als erstes auf Martin Scorsese tippen. Wer sonst außer dem „Killers Of The Flowers Moon“-Regisseur hat in den letzten Jahren so viel Geld ausgegeben, um ein historisches Setting derart gut aussehen zu lassen? Trotzdem ist die Musik als Herzstück der Handlung und der Figuren sogar noch wichtiger für den Film als seine Bilder – und so ist es nur logisch, dass der zweifach oscarprämierte Komponist Ludwig Göransson („Oppenheimer“) zugleich auch als Ausführender Produzent mit an Bord ist.
Beim Story-Umschwung vom Sonnig-Melodischen zum Düster-Beklemmenden hat sich Ryan Coogler von Metallicas Anti-Krieg-Song „One“ leiten lassen – und seine Leidenschaft für Blues-Musik war sogar der Ursprung des ganzen Projekts: Die Idee, dass Blues in den Kirchen zwar als Teufelsmusik angeprangert wurde, aber viele berühmte Blues-Musiker ausgerechnet Predigersöhne waren, erschien ihm von Anfang als erforschungswürdiger Widerspruch – und so geht es auch in „Blood & Sinners“ ganz zentral um die zugleich heilende und zerstörerische Kraft der Musik. Am deutlichsten wird dies im spektakulären Centerpiece – einer mehrminütigen, feurig-wirbelnden Plansequenz, in der Raum und Zeit fast vollständig zu verschwinden scheinen und Jahrhunderte Schwarzer Musikgeschichte auf der Tanzfläche des Juke Joints wie in einem Schmelztiegel ineinanderfließen.
Gleich in der ersten Szene mit den Zwillingen reicht sich der zweifache Michael B. Jordan („Just Mercy“) während des Dialogs selbst eine Zigarette hin und her – so unterstreichen der Schauspieler und der Regisseur direkt zum Auftakt, dass sie das mit der Doppelrolle technisch absolut drauf haben, und anschließend fällt es auch tatsächlich kaum noch auf. Stattdessen punktet das Skript mit detailreichem, hochgradig spezifischem Wissen über (Schwarze) Geschichte, die „Blood & Sinners“ noch über das aufwändige Produktionsdesign hinaus ein gewaltiges Maß an Authentizität verleihen – die verschiedenen Währungen, mit denen die meist auf Plantagen schuftenden Gäste ihr Bier bezahlen wollen, ist nur eines von etlichen Beispielen dafür.
Aber keine Sorge, „Blood & Sinners“ ist definitiv kein trockener Oscar-Film. Wenn sich der vampirische Wahnsinn in der zweiten Hälfte schließlich Bahn bricht, macht Ryan Coogler keinerlei Gefangenen – da werden ganz klassisch Kehlen durchbissen und Pfähle in Herzen gerammt. Wobei die blutsaugenden Belagerer ironischerweise ausgerechnet dann am furchteinflößendsten wirken, wenn sie einen fröhlichen Irish Dance aufs Parkett legen. Und schließlich lässt es sich Ryan Coogler auch nicht nehmen, seinen Film mit einer Rache-Fantasie enden zu lassen – und damit schließt sich dann auch endgültig der Bogen zu den Werken von Quentin Tarantino, wobei das herbeigesehnte Massaker in „Blood & Sinners“ nicht ironisch wirkt, sondern ehrlich wütend und sehr viel persönlicher.
Fazit: Ein zugleich absolut epischer und doch tiefpersönlicher Vampir-Horrorfilm vor historischer Edelkulisse! Ryan Coogler setzt mit seinem ersten Originalstoff alles auf eine Karte und festigt so seinen Stand als einer der aufregendsten Regisseure unserer Zeit, der offensichtlich doch viel mehr draufhat, als ohnehin schon erfolgreiche Franchises auf ein neues Level zu heben…