Mein Konto
    Voll das Leben - Reality Bites
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    5,0
    Meisterwerk
    Voll das Leben - Reality Bites
    Von Carsten Baumgardt

    Jeder Abschnitt der Filmhistorie steht meistens für irgendetwas Charakteristisches. Aber was prägte eigentlich die 90er Jahre? Ist das greifbar? „Pulp Fiction", „Fight Club", „American Beauty", „GoodFellas", „Schindlers Liste"? Oder der Beginn des digitalen Zeitalters, ausgehend von „Jurassic Park" (1993) bis hin zu „Matrix" (1999)? Ein Teilaspekt der Dekade ist unzweifelhaft die sogenannte „Generation X". Dieses Schlagwort geht auf Douglas Couplands Episodenroman „Generation X – Geschichten für eine immer schneller werdende Kultur" zurück und beschreibt die Generation, der in den späten 60ern und frühen 70ern Geborenen, die sich erstmals ohne Kriegseinwirkung mit weniger Wohlstand zufrieden geben mussten als die Elterngeneration. Das Jahrzehnt brachte vier ultimative „Generation X"-Kultfilme hervor. Cameron Crowes phantastischen Grunge-Blues „Singles", Richard Linklaters „Slackers" und seinen nicht minder coolen Liebesfilm „Before Sunrise" und Ben Stillers Regiedebüt „Reality Bites" (1993). Diese Slacker-Tragikomödie glänzt mit messerscharfen Dialogen und herausragenden schauspielerischen Leistungen.

    Die Zukunftsaussichten der jungen Lelaina (Winona Ryder) sind nicht gerade rosig. Obwohl sie das College als Jahrgangsbeste abschließt, bekommt sie nur einen Assistenzjob beim Fernsehen, der sie völlig unterfordert. Privat geht auch alles drunter und drüber, als der hochintelligente, aber arbeitsscheue Slacker Troy (Ethan Hawke) in die WG zu Lelaina und ihrer Freundin Vickie (Janeane Garofalo) zieht. Lelaina und Troy mögen sich, geraten aber wegen der unterschiedlichen Lebenseinstellungen oft aneinander. Als sie sich mit dem Yuppie Michael (Ben Stiller) einlässt, rebelliert Troy gegen diese Beziehung und es entwickelt sich ein emotional aufgeladenes Dreiecksgespann.

    „Reality Bites" ist exemplarisch für das Lebensgefühl dieser Generation zu betrachten. Ben Stillers lockere, aber dennoch tiefgründige Tragikomödie ist das Regiedebüt des heutigen Starkomikers, der bisher nur drei weitere Arbeiten hinter der Kamera („The Cable Guy", „Zoolander", „Tropic Thunder") folgen ließ. Stiller, der damals noch am Anfang seiner Karriere stand, wirkt auch in einer aus heutiger Sicht für ihn völlig untypischen Nebenrolle mit. Sein Michael Grates und ist ein Yuppie wie aus dem Bilderbuch und definitiv nicht der Sympathieträger des Films. Diese Rolle gebührt eindeutig Winona Ryder und Ethan Hawke. Hawkes Slacker-Coolness (lange Matte, stets eine Kippe und einen Kaffee am Start) ist phänomenal. Er liebt es zu reden, zu philosophieren - von tiefgründig bis schwachsinnig. Dazu ist er eingebildet und arrogant, aber dennoch charmant.

    Drehbuchautorin Helen Childress, die das Skript im zarten von Alter von 19 Jahren verfasste, liefert Stillers Personal wunderbare Dialoge. Locker, leicht, zynisch, satirisch, witzig, geistig, albern und ernst: „Reality Bites" trifft den Nerv der Zeit punktgenau – unterstrichen durch einen phantastischen Soundtrack, der Bands wie U2, Crowded House und The Knack mit Lenny Kravitz, New Order, World Party und Dinosaur Jr. kongenial zusammenbringt. Auch Ethan Hawke hat im Film einen ziemlich ruppigen Auftritt als Sänger, der in einem Schlüsselmoment von U2s „All I want is you" auf den emotionalen Höhepunkt gesteigert wird.

    An Hawkes Seite zeigt Winona Ryder, warum sie zu Beginn der 90er als begabteste Schauspielerin ihrer Generation gehandelt wurde, sich zwei Oscar-Nominierungen („Betty und ihre Schwestern", „Zeit der Unschuld") erspielte und mit den ganz großen Regisseuren der Zunft (Francis Ford Coppola, Tim Burton, Woody Allen) drehen durfte. Auch ihre Lelaina Pierce ist alles andere als perfekt und mit zahlreichen Problemen belastet, aber Ryder entlockt ihrer Figur derart viel Charme, dass es eine wahre Freude ist, ihr zuzusehen. Dazu stimmt die Leinwandchemie mit Hawke perfekt. Ergänzt wird das starke Doppel durch die sympathischen Sidekicks Janeane Garofalo und Steve Zahn. „Reality Bites" ist ein herausragendes Generationsporträt, verpackt in einer klassischen Boy-Meets-Girl-Geschichte. Ach ja, eine gewisse Renée Zellweger, die später für „Unterwegs nach Cold Mountain" den Oscar gewann, begann ihre Weltkarriere mit einer kleinen Rolle in ihrem Schauspieldebüt „Reality Bites". Wer aber das Zeitgefühl der frühen 90er Jahre nachempfinden will, ist mit diesem Film definitiv an der richtigen Adresse.

    Möchtest Du weitere Kritiken ansehen?
    Das könnte dich auch interessieren
    Back to Top