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    Er ist unser neuer Kino-Lieblingslehrer! Das große FILMSTARTS-Interview mit Andreas Döhler zum wunderbaren "Sieger sein"
    Markus Tschiedert
    Markus Tschiedert
    Markus Tschiedert arbeitete schon während seines Studiums für die Berlinale und ist heute freier Journalist. Er leitet den ‚Club der Filmjournalisten Berlin‘, organisiert den Ernst-Lubitsch-Preis und veranstaltet Filmevents.

    Für April haben wir uns den ganz tollen Fußball-Schul-Film „Sieger sein“ für unsere Initiative „Deutsches Kino ist [doch] geil!“ ausgewählt – da gehört ein Interview mit unserem neuen Lieblings-Lehrer-Darsteller Andreas Döhler natürlich auch dazu...

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    Sollte man als Schüler*in aufstehen, wenn am Anfang der Schulstunde die Anwesenheit kontrolliert und der eigene Name aufgerufen wird? Die mit ihrer kurdischen Familie aus Syrien geflüchtet Mona (Dileyla Agirman) hat das so gelernt – und macht es deshalb nun auch in ihrer neuen Schule im Berliner Wedding so. Aber worüber sich viele Lehrer*innen wohl freuen würden, kommt bei Herrn Che gar nicht gut an. Strammstehen wäre nur etwas für Soldat*innen, aber seinen Schüler*innen will der auch für die Mädchen-Fußball-Schulmannschaft verantwortliche Pädagoge auf Augenhöhe begegnen.

    Gespielt wird dieser Herr Che in „Sieger sein“ vom nordsächsischen Schauspieler Andreas Döhler, der sich mit dieser Performance ganz weit oben in unserer All-Time-Liste unserer beliebtesten Kino-Lehrer einreiht – und den wir in Berlin zum persönlichen FILMSTARTS-Interview getroffen haben:

    FILMSTARTS: In „Sieger sein“ spielst du den Lehrer Chepovsky, der von allen aber nur Herr Che genannt wird. Ist die Assoziation zum Freiheitskämpfer Che Guevara beabsichtigt?

    Andreas Döhler: Ich nehme es mal an. Es gibt ja noch andere Indizien für seine politische Heimat, wie etwa seinen Ohrring. Aber darum geht’s nicht. Herr Che ist für die Kinder einfach besser auszusprechen.

    FILMSTARTS: Er ist kein konventioneller Lehrer, und trotzdem hat er auch eine Strenge gegenüber Kindern...

    Andreas Döhler: Herr Che versucht mit Kindern auf Augenhöhe zu agieren. Das war auch der Regisseurin Soleen Yusef sehr wichtig. Vorbild war ein Lehrer aus Soleens Jugend, über den sie mir einiges erzählt hat. Im Zuge meiner Vorbereitung durfte ich zudem Lehrer kennenlernen, die Kindern mit einer tollen Mischung aus Respekt, Wärme, aber auch einer Bestimmtheit und Klarheit begegnet sind.

    FILMSTARTS: Was war Soleen Yusef noch wichtig?

    Andreas Döhler: Das Allerwichtigste war ihr die Augenhöhe und ein gewisses Maß an Strenge, zugleich war das auch die größte Herausforderung für mich. Diese Kinderaugen rühren dich, gleichzeitig hast du eine Figur zu spielen, die ihnen klare Ansagen machen muss. Gegenseitiger Respekt – das war immer wieder Thema.

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    Herr Che (Andreas Döhler) begegnet seinen Schüler*innen immer auf Augenhöhe – selbst wenn das zwischendurch auch mal ganz schön anstrengend werden kann.

    FILMSTARTS: Wie empfandest du generell die Zusammenarbeit mit so vielen jungen Kolleginnen?

    Andreas Döhler: Ich fand die alle unglaublich professionell und zugleich ganz pur und direkt. Ein richtiges Geschenk für die Arbeit. Ich erinnere mich an eine Szene mit Tamira Bwibo, in der sie mir erzählt, dass ihre Mitschülerin Mona gemobbt wird. Es war unser erster gemeinsamer Drehtag. Sie war genau wie ich aufgeregt. Und trotzdem hat sie das so irre gut und mit so viel Gefühl gespielt. Das fand ich richtig beeindruckend. Natürlich gibt es bei der Arbeit mit Kindern aber auch Schwierigkeiten.

    FILMSTARTS: Wie meinst du das?

    Andreas Döhler: Kinder dürfen nur fünf Stunden am Set sein, und davon nur drei Stunden drehen. Wenn du wie hier eine Fußballmannschaft hast, bleibt also nicht viel Zeit. Am Anfang dreht man alle Einstellungen mit den Kindern, die dann nach Hause gehen, und nach der Mittagspause kommen die Einstellungen dran, in der die Kamera auf dich gerichtet ist. Da spielt man schon mal eine Szene mit einem Stuhl oder jemandem aus dem Filmteam.

    FILMSTARTS: Wie hast du eigentlich deine eigene Schulzeit erlebt?

    Andreas Döhler: Die ersten Jahre meiner Schulzeit habe ich noch in der DDR verbracht. Das war Frontalunterricht und es waren Lehrer dabei, die in meinen Augen pädagogisch nicht die größten Leuchten waren. Natürlich gab es auch ganz zugewandte Lehrer, aber da wurde schon auch mal ein Schlüsselbund geworfen. Ich habe sogar mal eine Kopfnuss gekriegt, was man heute gar nicht mehr glauben kann. Von Augenhöhe konnte da keine Rede sein.

    FILMSTARTS: Konntest du dieser Zeit dennoch etwas Gutes abgewinnen?

    Andreas Döhler: Im Gegensatz zu heute gab es keine Klassenunterschiede. Alle durften teilhaben. Jede und jeder hat seine Milch und sein Mittagessen bekommen, konnte an Klassenfahrten teilnehmen oder in einen Sportverein gehen.

    FILMSTARTS: Hast du bei der Erarbeitung deiner Figur dennoch an die eigenen Lehrer von damals gedacht?

    Andreas Döhler: Zur Vorbereitung dienten mir vor allem die Gespräche mit Soleen. Es ging um Fragen wie: Warum bist du Lehrer geworden? Was möchtest du damit erreichen? Was für ein Mensch bist du? Oder auch: Was möchtest du Kindern mitgeben und kann man dadurch auch gesellschaftlich etwas ändern?

    FILMSTARTS: Hat dir Soleen davon erzählt, wie sie überhaupt auf die Idee zu „Sieger sein“ kam?

    Andreas Döhler: Ja, das hat sie. Es war eine zufällige Begegnung mit ihrem damaligen Lehrer, aber für sie war es die Initialzündung für diesen Film. Nach der Premiere von „Sieger sein“ auf der Berlinale hatte ich das Vergnügen, ihn persönlich kennenzulernen. Ein Super-Typ, und trotzdem ganz anders als der, den ich spiele.

    FILMSTARTS: Wie hat er zu deiner Darstellung gesagt?

    Andreas Döhler: Ich glaube, er fand’s gut.

    FILMSTARTS: Die Regisseurin hat quasi ihre eigenen Erlebnisse verfilmt. Nur spielt die Geschichte nicht mehr Ende der Neunzigerjahre, sondern im Hier und Heute. Wie stehst du dazu?

    Andreas Döhler: Soleen wollte keinen historischen Film drehen, sondern einen, in dem sich eine heutige Generation mit ihren unterschiedlichen Biografien wiederfindet und gemeint fühlt. Ich finde das ungemein relevant.

    FILMSTARTS: Welche Botschaft siehst du in dem Film?

    Andreas Döhler: Ich glaube nicht, dass sich der Film auf eine einzige Botschaft herunterbrechen lässt. Was man die ganze Zeit spürt, ist das große Herz von Soleen. Sie fasst Themen an wie: Was ist der Einzelne für die Gruppe? Was kann die Gruppe für den Einzelnen sein? Was ist Solidarität? Und nicht zuletzt: Wie stehen wir füreinander ein und gehen mit Niederlagen um?

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    Eine der Fragen im Film: Sollte man für den Lehrer aufstehen? Herr Che ist jedenfalls klar dagegen!

    FILMSTARTS: Sag mal, wärst du gern Lehrer geworden?

    Andreas Döhler: Ich mag Kinder wirklich sehr, aber ich glaube, da fehlt mir einfach die Geduld (lacht).

    FILMSTARTS: Okay, wie sieht’s mit Fußball aus?

    Andreas Döhler: Mmh, ich weiß gar nicht, ob ich das sagen darf. Doch! Ich habe nie wirklich Fußball gespielt. Klar, früher mit Freunden gekickt, aber ich war nie in einem Verein und bin auch sonst nicht wirklich fußballaffin.

    FILMSTARTS: Das heißt, für deine Rolle als Fußballtrainer musstest du dich ein bisschen schlaumachen?

    Andreas Döhler: Ja, das musste ich wirklich. An dem Film haben ja verschiedene Mädchenmannschaften aus Berlin und Potsdam teilgenommen. In Babelsberg hatte ich die Möglichkeit, an einigen Trainingsstunden teilzunehmen und am Filmset hatten wir auch einen Trainer, der immer wieder aushelfen konnte.

    FILMSTARTS: Fußballspieler und Lehrer wolltest du schon mal nicht werden. Wie bist du dann auf die Schauspielerei gekommen?

    Andreas Döhler: Das war wirklich Zufall. Ich habe an der Uni in Leipzig Politikwissenschaften, Journalistik und Soziologie studiert und nebenbei viel gejobbt. Ich lernte eine Regisseurin kennen, die ein Theaterprojekt vorbereitete, das u. a. mit Laien besetzt wurde. Dazu hat sie mich eingeladen. Ich bin hingegangen, fing an zu spielen und hatte großen Spaß dabei.

    FILMSTARTS: Wie ging es anschließend weiter?

    Andreas Döhler: Der Abend war ein Erfolg. Ich habe mich dann an der Hochschule für Musik und Theater „Felix Mendelssohn Bartholdy“ beworben und wurde aufgenommen. Und bin immer noch ganz froh darüber, Schauspieler geworden zu sein.

    FILMSTARTS: Obwohl das manchmal auch ein unsicherer Beruf sein kann?

    Andreas Döhler: Natürlich gibt es auch schwierige Phasen und mit Sicherheit gehört auch Glück dazu. Mein erstes Engagement war am Thalia Theater in Hamburg. Darauf folgten Engagements am Deutschen Theater in Berlin und am Berliner Ensemble. Nebenbei habe ich angefangen zu drehen.

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    Das Schulturnier der Mädchenmannschaften aus Berlin und Brandenburg – und Herr Che und sein Team sind auch dabei!

    FILMSTARTS: Inzwischen hast du in einigen großen Filmen wie „Im Westen nichts Neues“ oder „Die stillen Trabanten“ mitgespielt ...

    Andreas Döhler: Ja und das waren sehr unterschiedliche Filme. Das Wichtigste ist neben dem Inhalt des Films für mich immer, welche Leute dahinterstehen. Denn einen Film macht man nicht allein. Du bist immer auf andere angewiesen und du machst das mit denen zusammen, und diese Suche und das gemeinsame Entwickeln ist was ganz Großartiges.

    FILMSTARTS: Welchen Film würdest du als deinen bisher wichtigsten bezeichnen?

    Andreas Döhler: Ein wichtiger war sicherlich „Die Hände meiner Mutter“ von Regisseur Florian Eichinger, in dem ich einen Mann spiele, der als Junge von seiner Mutter missbraucht wurde. Genauso wichtig ist aber auch „Millionen“ von Fabian Möhrke gewesen, weil es mein erster großer Film war. Und „Sieger sein“, weil ich noch nie in einem Kinderfilm mitgespielt habe und viel in der Zusammenarbeit mit Soleen Yousef gelernt habe. Im besten Fall lerne ich bei jeder Arbeit etwas dazu.

    FILMSTARTS: Wo wird man dich als Nächstes sehen können?

    Andreas Döhler: Im Herbst kommt der Film „Jupiter“ von Benjamin Pfohl in die deutschen Kinos, der Ende 2023 auf dem Filmfestival Zürich seine Premiere feierte. Dann stehen noch „Rote Sterne überm Feld“ unter der Regie von Laura Laabs und „Der Spatz im Kamin“ von Ramon und Silvan Zürcher an. Da steht der Kinostart noch nicht fest. Und ich werde im September am Berliner Ensemble mit „Kleiner Mann, was nun“ in der Regie von Frank Castorf Premiere haben.

    FILMSTARTS: „Sieger sein“ ist ja als Gewinner unserer Aktion „Deutsches Kino ist [doch] geil!“, in der wir jeden Monat einen deutschen Film – egal welcher Größe – redaktionell wie einen Blockbuster behandeln. Was könnte man deiner Meinung nach noch tun, damit das deutsche Kino hierzulande wieder so geschätzt oder gar gefeiert wird, wie es das in vielen Fällen auch einfach verdient hat?

    Andreas Döhler: Es braucht mehr Mut, gute Geschichten zu fördern und Leute aus künstlerischen Departments arbeiten zu lassen. Vertraut diesen Leuten, und lasst der Kunst mehr Raum.

    FILMSTARTS:Barbie“ und „Oppenheimer“ haben ja 2023 gezeigt, dass Kinofilme vom gegenseitigen Erfolg profitieren können. Die Leute haben wieder Bock aufs Kino. Welchen aktuellen deutschen Kinofilm sollten sie sich also nach „Sieger sein“ anschauen?

    Andreas Döhler: Das ist absolut so. Ich wollte kürzlich ins Kino gehen, um mir „The Holdovers“ anzusehen. Es war alles ausverkauft, und das gleich in zwei Sälen. Wie toll ist das denn!

    FILMSTARTS: Okay, aber in welchen deutschen Film sollte man anschließend rein?

    Andreas Döhler: Ich kann einen sehr schönen kleinen Film empfehlen. „Letzter Abend“, der für 4.000 Euro in einer Wohnung mit Schauspielerinnen und Schauspielern aus Hannover entstanden ist – super gespielt, mit tollen Figuren und atmosphärisch dicht erzählt. Diesen Film unterstütze ich total gern und sage: „Geht da mal rein, das ist ein toller Film.“ Und „Ivo“ von Eva Trobisch, deren Arbeit ich generell sehr schätze.

    Neben Andreas Döhler haben wir auch ein sehr tolles Interview mit „Sieger sein“-Regisseurin Soleen Yusef geführt – sie war nämlich im FILMSTARTS-Podcast Leinwandliebe zu Gast. Anhören könnt ihr euch das gleich hier – oder auf dem Smartphone in einem Podcatcher eurer Wahl:

    Und falls ihr es noch nicht bemerkt habt: Für uns ist „Sieger sein“, der seit dem 11. April in den deutschen Kinos läuft, eine absolute Empfehlung – und so lautet das Fazit unserer ausführlichen 4-Sterne-Kritik auch: „Sieger sein“ wurde unter anderem von der Initiative „Der besondere Kinderfilm“ gefördert. Da können wir nur sagen: Mission vollumfänglich erfüllt – und mit Herrn Che gibt es gleich noch einen neuen Lieblings-Kino-Lehrer obendrauf!

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