Wolf Man
Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
3,0
solide
Wolf Man

Erst der Unsichtbare, jetzt der Haarige

Von Christoph Petersen

Mit seinen Universal Monsters hat das Hollywoodstudio Universal Pictures Kinogeschichte geschrieben. Zwischen 1923 und 1960 dominierten sie mit bis zu sieben Filmen pro Jahr das Schauergenre, dabei entstanden solche zeitlosen Klassiker wie „Dracula“ (1931), „Frankenstein“ (1931), „Die Mumie“ (1932), „Der Unsichtbare“ (1933) oder „Der Wolfsmensch“ (1941). Beim ersten Versuch, diesen filmhistorischen Schatz zu heben, sind die Verantwortlichen jedoch maßlos über das Ziel hinausgeschossen, als sie mit dem Dark Universe direkt eine Art Monster-MCU aus superteuren CGI-Blockbustern voller Superstars wie Johnny Depp oder Javier Bardem entstehen lassen wollten.

Gleich der erste Anlauf, „Die Mumie“ mit Tom Cruise, wurde trotz solider Einspielergebnisse von der Kritik wie vom Publikum dermaßen verdroschen, dass das Mega-Projekt direkt wieder in sich zusammenfiel. Stattdessen folgte drei Jahre später ein neuer Versuch – diesmal mit Unterstützung von Produzent Jason Blum, dem es wie keinem anderen gelingt, selbst mit überschaubaren Budgets zuverlässig Kinoerfolge zu generieren. Seit seinem Durchbruch mit „Paranormal Activity“ (2007) hat er etwa „The Purge“, „Insidious“, „Sinister“, „Five Nights At Freddy’s“, „M3GAN“ und „Halloween“ verantwortet, um nur eine kleine Auswahl seiner Hits zu nennen.

Gleich im ersten Anlauf ein Megahit

Drehbuch und Regie beim mit sieben Millionen Dollar deutlich bescheidener budgetierten Reboot übernahm „Saw“-Erfinder Leigh Whannell – und so entstand „Der Unsichtbare“, in dem sich Elisabeth Moss als Witwe eines toxisch-kontrollsüchtigen Tech-Milliardärs selbst nach dessen vermeintlichem Tod weiter gegen ihn zur Wehr setzen muss. Ein verdammt fieser Schocker, der voll den Zeitgeist traf! Das weltweite Einspielergebnis von ohnehin grandiosen 130 Millionen Dollar wäre wohl noch deutlich höher ausgefallen, wenn die Kinos nicht wenige Wochen nach dem Start wegen der COVID-19-Pandemie hätten schließen müssen.

Kein Wunder also, dass diesmal nicht wie beim beerdigten Dark Universe schon nach einem Film gleich wieder Schluss ist, sondern Leigh Whannell mit einem etwa viermal so hohen Budget nachlegen darf: „Wolf Man“ weist eine ganze Reihe von Parallelen zu „Der Unsichtbare“ auf, vom begrenzten Schauplatz bis zu den Themen rund um (toxische) Männlichkeit. Zugleich wirkt er aber auch sehr viel klassischer – und das nicht nur, weil er überwiegend in einem abgelegenen Haus in der Wildnis statt in einer High-Tech-Smart-Villa spielt. Trotz einer Reihe verdammt stark inszenierter Szenen bleibt es deshalb fraglich, ob „Wolf Man“ einen ähnlich starken kommerziellen wie popkulturellen Impact wie „Der Unsichtbare“ entwickeln kann.

Charlotte (Julia Garner) kämpft für ihren Mann, selbst wenn Blake (Christopher Abbot) längst nicht mehr so attraktiv aussieht wie vor seiner Begegnung mit einer wolfsartigen Kreatur. Universal Pictures
Charlotte (Julia Garner) kämpft für ihren Mann, selbst wenn Blake (Christopher Abbot) längst nicht mehr so attraktiv aussieht wie vor seiner Begegnung mit einer wolfsartigen Kreatur.

Nachdem er mit seinem extrem strengen Jäger-Vater Grady (Sam Jaeger) in der Wildnis von Oregon aufgewachsen ist, lebt der derzeit arbeitslose Autor Blake Lovell (Christopher Abbott) inzwischen mit seiner eigenen Familie in San Francisco. Während das Verhältnis zu seiner Tochter Ginger (Matilda Firth) kaum besser sein könnte, kriselt es in der Beziehung zu seiner Frau Charlotte (Julia Garner), die sich zunehmend in ihrem Job als Journalistin aufreibt.

Da kommt der Brief gerade recht, in dem der ohnehin seit Jahren verschollene Grady nun auch offiziell für tot erklärt wird. Blake muss sich also um das Erbe kümmern und nimmt seine Familie kurzerhand mit. Allerdings kommt es schon kurz nach der Ankunft zu einem Unfall, als plötzlich ein haariges Wesen die Straße blockiert. Noch kann das Trio zwar fliehen, aber in der folgenden Nacht beginnt sich der Körper von Blake zu verändern, als wäre er von einer rasend schnell fortschreitenden Krankheit infiziert…

Der Sound der Wildnis

Die erste Einstellung von „Wolf Man“ zeigt eine Armee von Ameisen, die über eine Wespe herfällt. Schon für sich ein verstörendes Bild, aber potenziert wird die Wirkung vor allem durch den übertrieben aufgedrehten Sound der an sich für Menschen kaum wahrnehmbaren Kampfgeräusche der Insekten. Leigh Whannell spielt immer wieder höchst effektiv mit solchen plötzlichen Sound-Spitzen, die die geschärfte sinnliche Wahrnehmung seines Protagonisten spiegeln. Der Höhepunkt ist eine Vogelspinne, die laut dröhnend eine Tapete hinauf stapft, als sei sie Godzilla auf Zerstörungstour durch Tokio.

Auch visuell punktet „Wolf Man“ immer wieder mit starken Ideen, etwa gleich zu Beginn, wenn der junge Blake (Zac Chandler) mit seinem Vater jagen geht und dabei von einem Wolfsmenschen überrascht wird. Als sich die beiden in einem Hochsitz verschanzen, sieht man statt des Angreifers nur seinen Atem in der kalten Waldluft. Und wenn die Kamera während eines spektakulären Autounfalls ganz unvermittelt eine Position auf dem Dach des Möbeltransporters einnimmt, als würde man die Perspektive im Menü eines „GTA“-Spiels anpassen, entwickelt auch dieser inszenatorische Einfall eine ebenso überraschende wie effektive Wirkung.

Wenn Blake seinen eigenen Arm abnagt, gab es in unserer Vorstellung von allen Seiten laute Schockgeräusche im Publikum! Universal Pictures
Wenn Blake seinen eigenen Arm abnagt, gab es in unserer Vorstellung von allen Seiten laute Schockgeräusche im Publikum!

Im Kern von „Wolf Man“ steckt eine ziemlich haarige Paartherapie: Zunächst kriselt es zwischen Blake und Charlotte, weil sie wie so viele Ehepaare aneinander vorbeireden. Aber ironischerweise rücken sie um so näher zusammen, je weniger sie sich tatsächlich verstehen können: Denn desto weiter Blakes Infektion voranschreitet, je mehr verändert er seine Wahrnehmung der Welt – bis Charlottes Sprache für ihn nur noch ein hallendes Gebrabbel ist, und umgekehrt.

In „Wolf Man“ gibt es gleich mehrere Momente, in denen die Kamera bei einem Kommunikationsversuch um die Köpfe von Blake und Charlotte kreist. Bei diesen Fahrten passt sich die Ausgestaltung der Welt, akustisch wie visuell, immer demjenigen an, aus dessen Perspektive wir gerade auf das Geschehen schauen. Ist die Kamera hinter dem Kopf von Blake, lassen seine Nachtsichtfähigkeiten alles fluoreszierend erstrahlen, während die Hintergrundgeräusche plötzlich laut grollen, aber dafür ihre verzerrten Worte kaum noch zu verstehen sind.

Der letzte Kick fehlt

Verhandelt werden auch diesmal wieder verschiedene Formen von Männlichkeit. Im Gegensatz zum toxischen Antagonisten aus „Der Unsichtbare“, den man gerne aus ganzem Herzen hasst, drückt man Blake zwar die Daumen, dass er den in sich auftürmenden animalischen Trieben, die ihm zumindest metaphorisch von seinem Vater vererbt wurden, möglichst lange widerstehen möge. Aber das entwickelt über die Distanz einfach nicht denselben Punch. Auch wenn beide Filme auf einen bewusst begrenzten Schauplatz setzen, fühlt sich „Wolf Man“ so gerade im Mittelteil sehr viel mehr wie ein Kammerspiel an.

Die behutsam eingestreuten Schockeffekte sitzen zwar, vor allem wenn die verschmierte Frontscheibe eines alten Trucks ins Spiel kommt. Aber im Gegensatz zu „Der Unsichtbare“ fehlt der eine große Kick, der sofort klarmacht, warum man den Klassiker im Jahr 2025 unbedingt noch einmal neu auflegen musste – und so schleicht sich dann auf Dauer doch die eine oder andere kaum bestreitbare Länge ein.

Fazit: Nachdem er mit dem radikal-modernisierten „Der Unsichtbare“ voll den Zeitgeist getroffen hat, geht Leigh Whannell bei seinem zweiten Update eines Universal-Monsters sehr viel behutsamer vor. Trotz starker Schauspielleistungen zieht sich „Wolf Man“ gerade im Mittelteil ein wenig, wobei einige geniale Regieeinfälle und vor allem das herausstechende Sounddesign das Horror-Drama dennoch sehenswert machen.

Möchtest Du weitere Kritiken ansehen?
Das könnte dich auch interessieren