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    The Lodge
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,5
    gut
    The Lodge

    Wie "Hereditary", aber anders

    Von Christoph Petersen

    Veronika Franz und Severin Fiala haben gleich mit ihrem Spielfilmdebüt „Ich seh, Ich seh“ besonders international für mächtig Rummel gesorgt. Und das liegt nicht nur daran, dass der Arthouse-Horror um Zwillingsjungen, die an der Identität ihrer mit einem Kopfverband aus dem Krankenhaus zurückgekehrten Mutter zweifeln, prestigeträchtige Premieren bei den Filmfestivals in Venedig und Toronto gefeiert hat. Eine noch wichtigere Rolle dürfte gespielt haben, dass die Vorschau auf YouTube geradewegs durch die Decke gegangen ist, während sich zudem einige US-Medien die Frage stellten, ob es sich bei „Goodnight Mommy“ (so der internationale Titel) nicht womöglich sogar um den unheimlichsten Trailer aller Zeiten handeln könnte. Kein Wunder also, dass das österreichische Regie-Duo nun gleich seinen zweiten Langfilm in englischer Sprache produziert – und zwar für die traditionsreiche Horror-Schmiede Hammer Films. Die ist nun – mit 20-jähriger Unterbrechung – schon seit Anfang der 1930er vor allem für ihre atmosphärischen Produktionen berühmt-berüchtigt. Und gerade in Sachen Atmosphäre trumpft nun auch der beim Sundance Filmfestival uraufgeführte „The Lodge“ groß auf.

    Der Journalist Richard (Richard Armitage) trennt sich für die jüngere Grace (Riley Keough) von seiner Frau Laura (Alicia Silverstone). Seine zwei Kinder, die etwa zehnjährige Mia (Lia McHugh) und Teenager Aidan (Jaeden Martell, der junge Bill aus „ES“ und „ES Kapitel 2“), sind davon allerdings gar nicht begeistert und begegnen der neuen Freundin ihres Vaters mit harscher Ablehnung. Abhilfe soll ein gemeinsamer Weihnachtsausflug in die abgelegene Familienhütte schaffen. Weil Richard vor dem Fest für die Arbeit noch mal zwei Tage in die Stadt zurückmuss, bleibt Grace mit den Kindern allein – eigentlich der perfekte Zeitpunkt, um sich ein wenig anzunähern. Nur haben Aidan und Mia wenige Tage zuvor in einem Video auf dem Rechner ihres Vaters entdeckt, dass Grace früher Mitglied einer christlichen Sekte war, deren Mitglieder sich allesamt selbst umgebracht haben. Nur sie hat den Massenselbstmord, bei dem die Sektenmitglieder ein Klebeband mit der Aufschrift „Sin“ (= „Sünde“) über den Mund geklebt trugen, als einzige überlebt...

    Mysteriös: Elvis-Enkelin Riley Keough in "The Lodge"

    Bei der Ankunft von Richard, Grace, Aidan und Mia bei der Hütte ist bereits eine gute halbe Stunde vergangen und trotzdem lässt sich zu diesem Zeitpunkt noch überhaupt gar nicht absehen, wer hier eigentlich vor wem Angst haben sollte: Verfällt Grace wieder ihrem christlichen Wahn und provoziert einen zweiten Gruppensuizid? Reagieren die Kinder in ihrer Angst und ihrem Hass über und gehen ihre potenzielle Stiefmutter an? (Die Idee liegt schließlich besonders dann nahe, wenn man weiß, was die Jungs in „Ich seh, Ich seh“ alles mit ihrer Mutter angestellt haben.) Oder kommt die Bedrohung ganz klassisch von irgendwo da draußen in der verschneiten Landschaft, was dann wiederum die widerwillig gemeinsam in der Hütte Eingeschlossenen zu einer echten Familie zusammenschweißt? Aber auch ohne die Gefahrenquelle eindeutig zu benennen, erzeugen Franz und Fiala von Anfang an eine verstörende, unheilverkündende Stimmung.

    Etwas von Yorgos Lanthimos und „Hereditary“

    Schon bei der Einführung einer falschen Protagonistin in der Tradition von „Psycho“ und „Scream“ fallen sofort die leicht verschobenen Perspektiven von Yorgos Lanthimos‘ Stammkameramann Thimios Bakatakis („Dogtooth“, „The Killing Of A Sacred Deer“) ins Auge: Statt Böden nehmen in den meisten Einstellungen die Zimmerdecken einen ungewohnt großen Teil des Bildes ein, was sich einfach merkwürdig anfühlt und direkt ein ungemütliches Gefühl beim Zuschauer entstehen lässt. Ein früher familiärer Schreckensfall und die ständigen Kamerafahrten durch das Puppenhaus in Mias Kinderzimmer provozieren zudem nahe liegende Vergleiche mit dem 5-Sterne-Meisterwerk „Hereditary“, bevor die christliche Symbolik und die harschen Schneebilder der zweiten Hälfte gar Erinnerungen an die Filme von Ingmar Bergman heraufbeschwören. Aber im Gegensatz zu Ari Aster in „Hereditary“ geht es in „The Lodge“ eben nicht zentral um das Greifbarmachen von familiärem Schmerz ...

    ... stattdessen steuert das Skript von Franz, Fiala und ihrem Co-Autor Sergio Casci („The Caller“) auf einen großen Twist zu, den man zwar kommen sehen kann, der zugleich aber trotzdem nicht stimmig wirkt, weil sich die Autoren zuvor einfach zu viel Mühe gegeben haben, falsche Fährten zu legen. Nicht wirklich logisch, nicht wirklich überraschend – und trotzdem hält sich die Enttäuschung in Grenzen, wenn einem klar wird, dass die Wendung gar nicht der eigentliche Endpunkt ist, sondern der Film nach diesem Richtungswechsel mit schrecklicher Konsequenz auf dem dadurch neu eingeschlagenen Pfad weiter voranschreitet. Und das tatsächliche Ende ist dann auch sehr viel besser gelungen – ein Film und ein Schluss wie ein Schlag in die Magengrube, von dem man sich anschließend wirklich erst mal erholen muss.

    Fazit: Selbst wenn der zentrale Twist nicht zu 100 Prozent sitzt, haben es Veronika Franz und Severin Fiala inszenatorisch einfach voll drauf, mit ihren subtilen Verschiebungen eine unheimlich-ungemütliche Atmosphäre zu kreieren. Daran ändert auch der Dreh in englischer Sprache nichts.

    Wir haben „The Lodge“ im Rahmen des Fantasy Filmfest gesehen, wo er als Eröffnungsfilm gezeigt wurde.

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